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Der Hexer von Quin

Der Hexer von Quin

Titel: Der Hexer von Quin
Autoren: Hans Kneifel
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verkrampften Händen, deren Fleisch aufgerissen und blutig war.
    Mitten in der Nacht legte sich der Sturm.
    Ein Himmel, der zu zwei Dritteln voller Sterne war, begann sich über der See zu spannen. Im schwachen Licht sahen die todmüden Männer, daß die Wellen länger wurden und in eine langgezogene Dünung übergingen. Fliegende Fische sprangen aus dem Wasser. Wenn sie auf Deck fielen, packten die Seeleute sie und zerrissen sie, schlangen und kauten gierig.
    In den Wolken der Düsterzone breitete sich ein fahles, weißes Licht aus. Die Spitzen der Wellen fingen diesen Schimmer auf und vervielfachten ihn zu einer endlosen Fläche aus phosphoreszierendem Licht.
    Dann sprang der Wind um. Er kam aus Süden.
    Die Schiffe richteten sich auf, und die Wärme des Windes ließ die Decksplanken, das Tauwerk, die Segel und die Kleidung der Männer trocknen. Die letzten Brotfladen wurden heruntergewürgt. Die letzten Krüge Wein gingen reihum; die halbe Besatzung fiel in Schlaf.
    Unbekannte Sterne und ein riesiger, weißer Mond, fast voll in seiner Rundung, halfen den Steuermännern, ungefähren Kurs zu halten.
    In der Stunde zwischen Nacht und erstem Morgengrauen hallte ein langgezogener Ton über das Meer.
    Kapitän Ergyse war sofort wach.
    Er wandte sich an den Steuermann, der halb über dem Ruder hing, und fragte mit geschwollener Zunge:
    »Was war… ah! Ich verstehe… das Horn der Splitterfelsen! «
    Das winzige Licht der Hecklaterne sahen sie nicht mehr. Irgendwo dort vorn segelte die Splitterfelsen.
    »Was sagen die Signale?«
    Beide Männer standen breitbeinig auf dem Heck, legten die Handflächen an die Ohren und versuchten, die Klänge und die Pausen richtig zu deuten.
    »Sie haben eine Insel gesichtet!« keuchte dann der Steuermann. »Kapitän! Das ist unsere Rettung.«
    Ein anderes Signal: gegen Mittag.
    »Laß die Männer schlafen. Ich wecke den Bläser Marth. Die Doppelaxt soll die Botschaft auch erfahren.«
    Der Kapitän der Stolz von Logghard tappte hinunter in den Schiffsbauch. Moderiger Gestank schlug ihm entgegen. Mühsam entzündete er eine Lampe, suchte zwischen den schlafenden Männern und fand Marth. Er drückte ihm die geschwungene Signalmuschel in die Hand und schüttelte ihn, bis der bärtige, braunhäutige Seemann wach war.
    »Eine Insel«, raunte der Kapitän. »Morgen werfen wir die Ankersteine. Blase die Nachricht zur Doppelaxt. «
    Marth nickte stumm und kletterte den Niedergang hoch. Er warf im Heck einen langen Blick in die Runde und betrachtete ehrfurchtsvoll das ruhige Meer.
    »Hier!«
    Ergyse faßte in eine Dose, die er im Gürtel trug, und wischte mit dem Finger eine Salbe daraus hervor. Er berührte die Lippen des Bläsers und grinste kurz.
    »Jetzt gib das Signal!«
    Wie der Schrei eines verwundeten Tieres hallte der Ruf des Muschelhorns über das Wasser. Ergyse schüttete neues Öl in die Flamme der Hecklaterne, um der Doppelaxt den Weg zu zeigen. Das Schiff, unsichtbar im Osten, gab keine Antwort. War die Doppelaxt ein Opfer des Sturms geworden?
    Nur wenige Seeleute blieben in dieser Nacht wach. Je deutlicher der graurote Streifen im Osten wurde, desto mehr stieg die Aufregung. Ein Schiffsjunge kletterte in den Masttopp. Er blickte schweigend nach West. Die erste Helligkeit kam und enthüllte einen wolkenlosen Himmel, an dem der volle Mond hing.
    Ein Schrei und wirbelnde Armbewegungen rissen Ergyse aus einem unruhigen Schlaf.
    »Land! Direkt voraus! Ich sehe das Segel der Splitterfelsen! «
    Viele Männer erwachten und drängten sich im Bug zusammen. Im Licht der waagrechten Sonnenstrahlen sahen sie, wie den Buckel eines auftauchenden Meeresriesen, backbords neben dem dreieckigen Segel des ersten Schiffes die Insel.
    »Noch sieben Stunden. Oder acht«, sagte Ergyse und schob den Steuermann mit der Schulter zur Seite. »Suche dir einen Platz und schlafe. Ich bringe das Schiff bis zum Ufer.«
    Zwischen Morgen und Mittag sahen sie auch das Segel der Doppelaxt. Kapitän Er’Kan hatte den Abstand verringert. Die drei Kapitäne wußten, daß sie gerettet waren. Der Auftrag war in diesen Stunden unwichtig geworden. Es galt, das Leben der Männer zu retten und die Schiffe mit Proviant neu auszurüsten. Hoffentlich verbargen sich in den Wäldern der Insel keine Eingeborenen, mit denen man kämpfen mußte!
    Allein mit dem Meer und einem angenehm kräftigen Wind, konnte Kapitän Ergyse ungestört nachdenken.
    Casson, der Salamiter, hatte dreihundert Schiffe bis zu den Hoffnungs-Inseln geführt,
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