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Der Hexer von Quin

Der Hexer von Quin

Titel: Der Hexer von Quin
Autoren: Hans Kneifel
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1.
    Das schneidende Heulen des Sturmes kam aus Nordost.
    Die Splitterfelsen holte schwer nach Backbord über. Ein Brecher rollte von Steuerbord heran, brach sich und schmetterte gegen die Bordwand. Tauwerk und Spanten ächzten; ein Hagel aus salzigem Wasser ging über das Schiff hinweg und prasselte in die straff geblähten Segel. Der Wind klagte in den Wanten und um die Masten. Fluchende Seeleute duckten sich hinter das salzverkrustete Schanzkleid. Das Focksegel knatterte in langen, triefenden Fetzen. Der lange Wimpel hatte sich in Fäden aufgelöst, die rote Sonne war nur noch ein verwaschener Fleck. Die Krieger aus Logghard, hohläugig, mit langen Bärten, abgemagert, die Seeleute, der Steuermann und der Kapitän – sie alle hatten schwere Entbehrungen hinter sich.
    »Männer! Haltet durch!« kämpfte die dunkle Stimme des Kapitäns Sharn gegen Sturm und Wellen an. »Bald hört dieser verdammte Sturm auf. Dort! Im Norden seht ihr schon den Himmel.«
    Niemand antwortete. Die Männer wollten nur noch Ruhe, Schlaf und Wärme. Ihre Zähne waren locker und fielen aus. Geschwüre, vom Salzwasser zerfressen, brachen immer wieder auf. Die Tage und Nächte, die hinter den drei Schiffen der Vorhut lagen, waren furchtbar gewesen.
    Mit tränenden, roten Augen blickten sie alle nach Westen.
    Sie warteten darauf, daß sich aus dem wütenden Meer eine Insel erhob.
    Auf einer riesigen Welle ritt die Stolz von Logghard. Rechts am knarrenden, zitternden Großbaum vorbei blickte der Steuermann auf das Segel und das Heck des ersten Schiffes. Noch hatten die Schiffe mit der roten Sonne in der Flagge Sichtkontakt miteinander. Im Westen lag nicht der Rand der bekannten Welt, dort ragten keine eisstarrenden Berggipfel hoch, dort war nur das aufgepeitschte Meer.
    Weit hinter dem Schiff von Kapitän Ergyse tauchte die Doppelaxt hinter Wellenbergen auf und versank wieder. So ging es seit Anbruch des ersten Morgenlichts, so ging es seit Tagen. Etwa hundert Männer aus Logghard kämpften um ihr Leben.
    Sie hatten es geschafft, die Schiffe bis hierher zu segeln. Irgendwo dort vorn lagen die Inseln, hinter ihnen gab es das Reich der Zaketer.
    Die Hoffnungs-Inseln lagen weit im Osten, hinter dem Horizont.
    An Backbord drohte Tag und Nacht die Düsterzone.
    Ein dräuender, wogender Wall aus Nebel und grauen Schleiern, in den Sturmnächten durchzuckt von seltsamen Lichterscheinungen. An den Tagen, in denen die Sonne für wenige Augenblicke durch die dahinjagenden Wolken funkelte, bildete die Düsterzone mit ihrem verschwimmenden Rand eine langgezogene Wolke. Niemand konnte erkennen, wo der Horizont des Wassers aufhörte und die Nebel begannen. Ab und zu warfen die Seeleute furchtsame Blicke dorthin. In großem Abstand von der Düsterzone steuerten die Kapitäne die Schiffe nach Westen.
    Jedes Schiff war auf sich allein gestellt.
    Die Nahrungsmittel waren feucht und halb ungenießbar. Das Wasser in den Fässern und Schläuchen war brackig geworden. Die letzten Früchte, verfault und stinkend, flogen über Bord.
    Der Sturm, halb von steuerbords achtern, trieb die Schiffe nach Westen. Sie sollten umkehren und das Gros der Flotte – fünfzig Schiffe und die Rhiad mit Casson, dem Vertrauten des Shallad – warnen oder von guten Erlebnissen verständigen.
    Ab und zu kamen seltsame fliegende Wesen aus der Düsterzone. Man sah sie erst, wenn sie sich hoch über den Schiffen befanden und mit ihren riesigen Schwingen schlugen. Sie umkreisten die Mastspitzen der Schiffe und stießen gellende Schreie aus. Dann tauchten sie ins aufgewühlte Wasser und kamen wieder hervor, riesige Fische oder zappelnde Lebewesen in den Fängen, die niemand je gesehen hatte.
    Wann hörte der Sturm auf? Wann tauchte endlich eine Insel aus dem endlosen Wasser? Jedermann sehnte sich nach einem Schluck kalten Quellwassers.
    Die Seeleute, die an die Gefahren im Reich des Shallad Luxon dachten, an die verschwundene Neue Flamme und die Magier aus dem Zaketerreich, hofften auf Sonne, auf Wärme, auf ein Nachlassen des Windes und einen festen Bissen. Sie wußten, daß sie alle verloren waren, wenn der Sturm sie weiter nach Westen trieb.
    Noch hielten die knarrenden, ächzenden Planken.
    Der Tag verging für die Männer auf den drei Schiffen so wie die Tage davor. Heulender Sturm, prasselnde Wassertropfen, riesige Wellen, die sich am Heck und an den Flanken der schwankenden Schiffe brachen, ließen die Seeleute nicht zur Ruhe kommen. Die Steuermänner hielten die schweren Balken in
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