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Der Hexer - NR11 - Engel des Bösen

Der Hexer - NR11 - Engel des Bösen

Titel: Der Hexer - NR11 - Engel des Bösen
Autoren: Verschiedene
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immer wieder überschlagend, neben mir in die Tiefe, den Mund zu einem stummen, vom Entsetzen erstickten Schrei geöffnet und die Hände hilflos nach beiden Seiten ausgestreckt. Dann schlug sie auf.
    Das Geräusch war nicht sehr laut. Aber es war der fürchterlichste Laut, den ich jemals in meinem Leben gehört hatte. Ich hatte das Gefühl, ihn wie eine Welle plötzlichen, heißen Schmerzes durch meinen Körper rasen zu fühlen. Stöhnend schloß ich die Augen.
    Ich spürte kaum, wie der rasende Flug zu Ende ging und ich beinahe sanft aufsetzte. Ich fühlte nicht einmal, wie ich auf Hände und Knie fiel und mir das Gesicht an einer der Felszacken aufriß. Alles, woran ich denken konnte, war dieser fürchterliche Laut und das Bild, das ich gesehen hatte. Und daß Lady Audley tot – tot, tot, tot – war. Plötzlich, in diesem Moment erst, spürte ich, wie sehr ich diese versponnene alte Frau gemocht hatte.
    Jemand berührte mich an der Schulter, und als ich aufsah, erkannte ich Cindys Gesicht durch den Schleier von Tränen, der meinen Blick vernebelte.
    Cindys Gesicht?
    Nein – das war nicht mehr das schmale Antlitz von Lady Audleys Nichte. Was ich sah, waren Züge, die so sanft und weiß wie aus kostbarem Porzellan modelliert waren, Augen, die die Unendlichkeit geschaut hatten und Haar, das wie gesponnenes Sternenlicht weit über schlanke, perfekt geformte Schultern herabfiel. Und ein Paar unglaublich großer, strahlendweißer Schwanenflügel, die die Dimensionen der Höhle selbst jetzt noch zu sprengen schienen, als sie sich wieder zusammenfalteten.
    »Shadow«, flüsterte ich.
    Das Wesen, das bisher in Cindys Gestalt aufgetreten war, nickte sanft. Ein mildes, sehr helles Licht schien seinen Körper zu umgeben, wie eine Aura der Helligkeit, ohne dabei auch nur im geringsten zu blenden. Selbst jetzt war es mir unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, ob ich einen Mann oder eine Frau vor mir hatte. Vielleicht keines von beiden.
    »Bist du verletzt?« fragte sie.
    Ich war nicht ganz sicher; trotzdem schüttelte ich den Kopf und versuchte auf die Beine zu kommen – wenn auch mit dem einzigen Ergebnis, daß ich sofort wieder das Gleichgewicht verlor und mich selbst wie einen Schmetterling an einer Felsnadel aufgespießt hätte, hätte Shadow nicht blitzschnell zugegriffen und mich gehalten. Behutsam stellte sie mich auf die Füße und blieb mit griffbereit ausgestreckten Händen stehen, bis sie sicher war, daß ich aus eigener Kraft stehen konnte. Vor mir, zwischen den Steinen, glitzerte etwas. Ein Kristall. Der Knauf meines Stockdegens!
    Shadow folgte meinem Blick, bückte sich rasch und nahm den Stock vom Boden auf. Er war unversehrt. »Wir müssen hier heraus«, sagte sie und reichte mir die Waffe. »Sie werden bald merken, daß wir noch am Leben sind. Ich kann nicht gegen sie kämpfen. Die Übermacht ist zu groß.« Sie streckte die Arme aus. Ihre Schwingen begannen sich zu entfalten, aber ich wich rasch zwei, drei Schritte zurück, schob den Stockdegen unter meinen Gürtel, und schüttelte entschieden den Kopf.
    »Lady Audley«, sagte ich. »Wir müssen nach Lady Audley sehen.«
    »Sie ist tot, Robert«, sagte Shadow sanft. Seltsam – ihre Stimme klang traurig, aber ich war sicher, auf ihren Zügen nicht die geringste Spur eines echten Gefühles zu erkennen. Ihre Worte waren eine reine Feststellung.
    »Warum... warum hast du sie nicht gerettet«, stammelte ich. »Du hättest es gekonnt. Du kannst fliegen. Du hast mich auch –« Ich brach ab, als ich begriff, daß ich Unsinn redete. Es war einfach zu schnell gegangen. Für mich waren während des Sturzes tausend Ewigkeiten vergangen, aber in Wirklichkeit konnten es nicht mehr als fünf, sechs Sekunden gewesen sein. Vermutlich war es schon ein Wunder, daß sie mich hatte auffangen können.
    »Es ging zu schnell«, sagte Shadow. »Ich hatte die Wahl, einen von euch zu retten. Nur einen.«
    »Dann hättest du sie nehmen sollen!« sagte ich.
    Shadow lächelte traurig. »Das gleiche hätte sie vermutlich über dich gesagt, hätte ich sie fragen können. Und du warst näher«, erklärte sie. »Die Spanne deines Lebens ist zudem noch sehr viel länger. Würdest du den großen Teil opfern, um den kleinen zu retten?«
    Ein Schlag ins Gesicht hätte mich kaum härter treffen können. Ich starrte sie an, öffnete den Mund, brachte aber nur einen keuchenden Laut heraus. Es war so... so unmenschlich. So kalt. Plötzlich kam mir ihre gläserne Schönheit voll zu Bewußtsein, die
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