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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer
Autoren: Boris Vian
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abzulassen, sofern und sowie er Sie ankommt. Versuchen Sie es. Seien Sie ehrlich.«
    »Einverstanden«, sagte Jacquemort.
    Sie blieben am Wegrand stehen. Der Psychiater schloss die Augen, schien sich entspannen zu wollen. Angel überwachte ihn aufmerksam.
    Es ließ sich an wie ein Brechen der Farben in Jacquemorts Gesichtstönung. Alles, was von seinem Körper zu sehen war, nahm kaum merklich eine gewisse Transparenz an, seine Hände, sein Hals, sein Gesicht.
    »Achten Sie mal auf Ihre Finger ...«, murmelte Angel.
    Jacquemort öffnete ein Paar nahezu farbloser Augen. Er konnte durch seine rechte Hand hindurch einen schwarzen Feuerstein auf der Erde sehen. Sowie er wieder zu sich kam, schwand die Transparenz, und er verfestigte sich wieder.
    »Da sehen Sie es«, sagte Angel. »Im Zustand vollständiger Entspanntheit existieren Sie gar nicht mehr.«
    »Unsinn«, sagte Jacquemort, »freuen Sie sich bloß nicht zu früh. Wenn Sie ernsthaft glauben, dass ein schäbiger Taschenspielertrick imstande sein soll, meine Überzeugung zu widerlegen, dass ... na los, erklären Sie mir schon Ihren Trick ...«
    »Nun gut«, sagte Angel. »Es freut mich zu sehen, dass Sie ein Ungläubiger sind und der Offensichtlichkeit gegenüber unempfindlich. Das liegt in der Natur der Dinge. Ein Psychiater muß ein schlechtes Gewissen haben.«
    Sie waren bis zum Dorfrand gelangt und machten sich mit beiderseitigem Einverständnis wieder auf den Rückweg.
    »Ihre Frau möchte Sie sehen«, sagte Jacquemort.
    »Wie wollen Sie das wissen?«, sagte Angel.
    »Ich ahne es voraus«, sagte Jacquemort. »Ich bin ein Idealist.«
    Am Hause angelangt, stiegen sie die Treppe hoch. Das eichene Geländer verformte sich dienstfertig unter Jacquemorts festem Zugriff. Angel trat als erster in Clémentines Zimmer.

10
    Er blieb auf der Schwelle stehen. Jacquemort wartete hinter ihm.
    »Willst du auch wirklich, dass ich reinkomme?«, fragte Angel.
    »Komm rein«, sagte Clémentine.
    Sie sah ihn an, weder freundlich noch feindlich. Er blieb stehen, ohne es zu wagen, sich aufs Bett zu setzen, aus Angst, er könnte ihr lästig sein.
    »Ich kann niemals mehr zu dir Vertrauen haben«, sagte sie. »Eine Frau kann von dem Moment an keinem Mann mehr vertrauen, wo ein Mann ihr Kinder gemacht hat. Und demjenigen dann erst recht nicht.«
    »Meine Clémentine«, sagte Angel, »du hast wirklich Schlimmes durchgemacht.«
    Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte sich nicht bemitleiden lassen.
    »Morgen werde ich aufstehen«, sagte sie. »In sechs Monaten müssen sie das Laufen erlernt haben. In einem Jahr werden sie lesen.«
    »Dir geht es schon besser«, sagte Angel. »Jetzt bist du wieder ganz die Alte.«
    »Das war aber keine Krankheit«, sagte sie. »Und jetzt ist es vorbei. Und wird nie wieder vorkommen. Am Sonntag müssen sie getauft werden. Sie werden Joël, Noël und Citroën heißen. Das ist beschlossen.«
    »Joël und Noël«, sagte Angel, »das klingt aber gar nicht hübsch. Du hattest doch noch an Azraël, Nathanaël und sogar Ariel oder Prünel gedacht.«
    »Du wirst nichts daran ändern«, sagte Clémentine mit entschiedener Stimme. »Joël und Noël für die Zwillinge. Citroën für den Dritten.«
    Zu sich selbst sagte sie halblaut:
    »Den muß ich mir gleich von Anfang an zurechtstutzen. Der wird mir noch allerhand Sorgen machen, aber er ist lieb.«
    »Morgen«, fuhr sie mit lauter Stimme fort, »müssen sie jeder ein eigenes Bett kriegen.«
    »Wenn Sie Besorgungen zu machen haben«, schlug Jacquemort vor, »stehe ich zur Verfügung. Genieren Sie sich bitte nicht.«
    »Das ist eine Idee«, sagte Clémentine, »auf diese Weise werden Sie hier Ihre Zeit nicht mit Nichtstun verbringen.«
    »Das ist nicht meine Gewohnheit«, sagte Jacquemort.
    »Sie laufen aber Gefahr, ihr hier zu verfallen«, antwortete sie. »Gehen Sie jetzt. Geht alle beide. Bestellt drei Betten beim Tischler. Zwei kleine und ein etwas größeres. Und sagt ihm, er soll gute Arbeit leisten. Wenn ihr runtergeht, schickt mir Blanche herauf.«
    »Ja, mein Liebling«, sagte Angel.
    Er beugte sich hinunter, um ihr einen Kuss zu geben und stand auf. Jacquemort ließ Angel an sich vorbei, als dieser hinausging. Der Psychiater schloss die Tür und folgte ihm.
    »Wo ist Blanche?«, fragte er.
    »Unten ...«, sagte Angel. »In der Waschküche. Sie hat gerade große Wäsche. Gehen wir erst Mittagessen. Um die Einkäufe kümmern wir uns später.«
    »Ich gehe«, sagte Jacquemort. »Sie bleiben hier. Ich habe keine
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