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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer
Autoren: Boris Vian
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Lust, wieder eine solche Diskussion mit Ihnen anzufangen wie vorhin. Das macht mich ganz fertig. Und außerdem ist es nicht mein Metier. Die Aufgabe eines Psychiaters ist ja schließlich ganz klar. Er hat zu psychiatrieren.«

11
    Jacquemort durchschritt das Gitter nun schon zum zweiten Male in derselben Richtung und schlug erneut den Weg zum Dorf ein. Zu seiner Rechten die Gartenmauer, dann die Küstenflanke und schließlich, in weiter Ferne, das Meer. Linker Hand bestellte Felder, Bäume hier und da, auch Hecken. Ein Ziehbrunnen, den er am Morgen noch nicht bemerkt hatte, fiel ihm nun wegen der Moospatina seiner ringförmigen Steinfassung und wegen der beiden hohen Steinsäulen auf, zwischen denen ein Scheffel aus Eschenholz an einer groben, rostigen Kette herunterhing. Das Brunnenwasser blubberte in der Tiefe und krönte die Brunnenöffnung mit einer Dunstwolke, die sogleich vom blauen Kamm des Himmels zerzaust und zerfasert wurde. Die ersten Häuser tauchten in der Feme vor ihm auf. Sie verblüfften ihn besonders durch ihre Grobklotzigkeit. Es waren Bauernhöfe in der Form eines U, dessen beide Arme zur Straße hinzeigten. Anfangs waren es nur einer oder zwei. Ihre Innenhöfe wiesen die übliche Raumeinteilung auf: viereckig, ein großes Bassin in der Mitte, angefüllt mit einem schwarzen Wasser und bevölkert von Krebsen und Vibrusen; linker Hand der Gebäudeflügel, den der Bauer mit seiner Familie bewohnte; rechts und hinten die Stallungen und die Pferdeställe, welche im ersten Stockwerk untergebracht waren, und zu denen das Vieh über eine ziemlich steile Rampe Zugang hatte. Die starken Pfeiler des Untergeschosses umrahmten mächtige Tröge, in denen sich, durch die Schwerkraft, Stallmist und Scheiße sammelten. Die Tröge der unbesetzten Ställe hingegen beherbergten Stroh, Getreide und Futtermittelreserven. In einem eigens dafür vorgesehenen, gut verborgenen und eingerichteten Kämmerchen wurden die Mägde aufs Kreuz gelegt. Der Innenhof selbst war gepflastert mit Platten aus grauem Granit, der von wohlgepflegten Rasenstreifen desselben zylindrischen und schwammigen Grases, das auch den Weg säumte, durchbrochen war.
    Jacquemort ging weiter, ohne eine Menschenseele zu erblicken. Die Zahl der Gehöfte nahm ständig zu. Nun gab es auch auf der linken Seite welche, und der breitere Weg zweigte nach dieser Seite ab. Er gesellte sich einem roten Bach längsseits zu, dessen Wasserspiegel beinahe bis auf Erdbodenhöhe reichte; glatt und ohne Falte war er, und unidentifizierbare Brocken trieben auf ihm, wie Halbverdautes. Hier und dort ließ sich das leise, hohle Getöse leerer Häuser vernehmen. Jacquemort versuchte, die komplexen Duftschwaden, die ihm rechtwinklig aus jedem Gebäude entgegenschlugen, in ihre Einzelbestandteile aufzuspalten.
    Der Bach beunruhigte ihn. Anfangs war gar nichts zu sehen gewesen, und plötzlich floss er breit dahin, voll bis zum Rand, wie unter einer gespannten Haut. Von einer Farbe wie der Auswurf eines bluthustenden Lungenkranken, hellrot und trüb. Wie eine wässrige Gouache. Jacquemort hob einen Steinbrocken auf und warf ihn hinein. Er versank diskret, ohne einen Plumps, wie in einem Fluss aus Daunen.
    Der Weg erweiterte sich zu einem länglichen Platz mit einem erhöhten Plateau, wo in Reih und Glied stehende Bäume wohligen Schatten spendeten. Gabelförmig lief die Straße um das Plateau und schloss sich wieder. Rechts gab es etwas Bewegung und Leben, und dorthin lenkte Jacquemort seine Schritte.
    Als er näherkam, sah er, dass es nur der Alteleutemarkt war. In der prallen Sonne befanden sich eine Holzbank und einige große Felsbrocken, auf denen die neu Dazugekommenen Platz nahmen. Alte Leute saßen in einer Reihe auf der Bank, und drei der Felsbrocken waren schon besetzt. Man konnte sieben Männer und fünf Frauen zählen. Der Gemeindekuppler stand vor der Bank, sein moleskingebundenes Register unter den Arm geklemmt. Er trug ein altes braunsamtenes Gewand und genagelte Schuhe, und ungeachtet der Hitze war sein Haupt mit einem schäbigen Käppchen aus Maulwurfspelz bedeckt. Er stank, und die Alten noch ärger. Mehrere saßen regungslos da, die Hände über ihren vom Gebrauch glattgewetzten Spazierstöcken gekreuzt, mit schmutzigen und groben Stoffen recht und schlecht bekleidet, unrasiert, verhutzelt und verdreckt, die Augen von der vielen Arbeit in der Sonne ganz verkniffen. Sie mümmelten mit ihren bis auf die faulen Stümpfe zahnlosen Kiefern.
    »Zugegriffen«, rief der
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