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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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begnadeten Meisters gilt für Eingeweihte bis heute als »die letzte Bastion des alten Handwerks vor den silizium-bestückten, seelenlosen Zeitschredderern der Gegenwart«.
    Ob es sich bei dem Schweizer Uhrmacher, der sich Anonymität ausbedungen hat, nun um Nico dei Rossi handelt oder nicht, das sei dahingestellt. Es heißt aber, er habe in jeder seiner Uhren eine Nachricht verborgen, die nur finden kann, wer ein besonderes Händchen für die leblosen Dinge besitzt. Allen anderen verschlie-
    ßen sich die Uhrwerke wie ein kosmisches Rätsel und tragen ihr Geheimnis in sich, von Unruhe erfüllt bis zum Ende.
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    ANMERKUNGEN
    DES
    AUTORS

    eine Frau hat eine besondere Gabe. Sie kann mit Maschinen M reden. Ja, besser noch, die Apparate lesen ihr jeden Wunsch von den Augen ab – und tun dann genau das Gegenteil. Ob die Arme nun mit ihrer Bankkarte den Zugang zum Geldautomaten erzwingen oder das Handy zu einer SMS überreden will, die Apparate verweigern sich ihr. Aber sie gehorchen wieder, sobald ich genau dieselben Handgriffe mache wie meine Frau. Dieses Phä-
    nomen, dem man unbedingt eine Doktorarbeit widmen sollte, hat mich auf die Idee gebracht, den Spieß einmal umzudrehen. Was wäre, fragte ich mich, wenn jemand die Gabe besitzt, mit Maschinen oder anderen Apparaturen genauso zu reden wie Doktor Dolittle mit den Tieren?
    Der Einfall mag amüsant klingen. Aber die Geschichte, die mir vorschwebte, ist ungefähr in demselben Maße eine Posse wie Dantes La Divina Commedia eine Komödie. Die Jahre zwischen 1932 und 1944, die im Mittelpunkt des Romans stehen, waren ja auch alles andere als komisch. Durch die Konzentrierung auf die Hauptschauplätze Wien, Rom und Nettuno wollte ich dem Leser eine Perspektive auf diese Zeit anbieten, die er so vielleicht noch nie eingenommen hat. Sicher kann man drüber streiten, ob ein Unterhaltungsroman, noch dazu ein fantastisch angehauchter, die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte thematisieren darf. Mir scheint jedoch, dass manches Bedenken für ein solches Unterfangen sich aus den Zweifeln nährt, dass Unterhaltendes, gar Fantastisches zugleich tiefgründig und ernsthaft sein kann.
    Trotzdem möchte ich – sieht man die Trivialität dessen, was uns 505
    »Nachrichtenmedien« immer wieder zu den grauenhaftesten Ereignissen auftischen – für solche Bücher eine Lanze brechen. Da es zudem Menschen geben soll, die emsig Belletristik lesen, aber nie eine Zeitung oder ein Geschichtsbuch, mag man mir diesen Drahtseilakt zugestehen. Erinnern hat viele Facetten. Ja, Verge-ben heißt nicht Vergessen, sondern es bedeutet Erinnern ohne Groll. Menschen in Nettuno und im bayerischen Traunreut haben das schon lange erkannt – seit 1973 pflegen sie ihre Städtepartner-schaft. Solcherart Gedenken wehrt sich gegen schweigendes Verdrängen. Kraftvoll klingt es in den Worten der Dichterin Ingeborg Bachmann: »Umgreift die Zeit, schleudert sie ins Heute.«

    Zwischen dem 8. September 1943, als der »Achsenpartner« Italien aus dem Krieg ausschied, und dem 2. Mai 1945, als die Kapitulation der deutschen Wehrmacht samt SS und Polizei in Italien in Kraft trat, starben – ohne Berücksichtigung der gefallenen Partisanen und regulären Soldaten sowie der durch Kriegseinwirkungen getöteten Staatsbürger – täglich über einhundertundsechzig italienische Kinder, Frauen und Männer jeden Alters durch deutsche Hand, sei es auf direkte oder auf indirekte Weise. Wenn auch zahlenmäßig geringer, können und dürfen die von den deutschen Besatzern Italiens an den Juden begangenen Gräuel nicht herun-tergespielt werden.
    Gerne verweist man darauf, dass die mediterrane Variante des Antisemitismus bei weitem nicht so menschenverachtend gewesen sei wie die deutsche. Umso befremdlicher fand ich einen mir während der Recherchen zum vorliegenden Roman aufgefallenen Artikel von Jedioth Yossi Bar. Unter dem Titel »Die Juden sollen nach Israel gehen« schrieb er am 6. Juli 2003: »18% der italienischen Jugendlichen sind der Meinung, dass die Juden in Italien nach Israel zurückkehren sollen, und ein ähnlicher Anteil der Jugendlichen behauptet, dass ›die Juden übertreiben, bei dem, was während des Holocausts passiert ist und mit dem Leiden, das sie durchgemacht haben‹.« Bei seinen Aussagen stützt sich Yossi Bar auf eine Studie, die von der Universität Rom unter Schirm-506
    herrschaft der jüdischen Gemeinden Italiens erarbeitet wurde.
    Man habe unter zweitausendzweihundert Jugendlichen zwischen
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