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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe
Autoren: Ralf Isau
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auseinander. Gelegentlich gab es auch ein zeitwei-liges Aufleben alter Verbindungen.
    Einer dieser für ihn so wichtigen Menschen war Davide Ticiani.
    Davides Ehefrau Salomia hatte in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ihr Leben verloren; ihr genauer Todestag wurde nie bekannt. Wie Johan, Lea – und übrigens auch der sozialdemokratische Schriftsteller Moritz Mezei – wurden sie zunächst ins Sammellager Fossoli di Carpi transportiert, bevor die Nationalsozialisten sie auf die Reise ohne Wiederkehr schickten.
    Noch während die deutsche Wehrmacht in den Castelli hin-
    haltenden Widerstand leistete, hatten die Besatzer in der Ewigen Stadt die Gelegenheit genutzt, um Massaker zu inszenieren.
    Der Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert
    Kappler, soll selbst mit Hand angelegt haben, als am 25. März in den Ardeatinischen Höhlen dreihundertfünfunddreißig Geiseln erschossen wurden. Es heißt, Hitler habe persönlich die Anordnung dazu gegeben. Die Ausführung des Befehls überließ er Kappler und seinen Stellvertretern, darunter SS-Sturmbannführer Karl Hass.
    Nach dem Krieg war Hass weiter in Rom tätig, zunächst als Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes OSS und dessen Nachfolger, der CIA. Später half er beim deutschen Bundesnach-richtendienst und auch bei italienischen Geheimdiensten aus, da man dort seine antikommunistische Haltung schätzte. Im März 1998 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.
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    Erheblich früher nahm sich Justitia des Juden- und Partisanenjägers Herbert Kappler an. Er wurde schon drei Jahre nach Kriegsende in Italien von einem Militärgericht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. In der Nacht vom 14. auf den 15. August 1977 entkam er allerdings seinen Bewachern unter eigenartigen Umständen. Wegen gesundheitlicher Probleme war er zuvor in ein Militärhospital eingeliefert worden. Um die »Flucht« spönnen sich bald Legenden. Niemand anderer als sein alter Kamerad Karl Hass habe bei der Planung mitgewirkt, wollten Insider wissen.
    Angeblich sei der vierundachtzigjährige Kappler drei Meter tief aus dem Fenster gesprungen, sagten andere. Einige Kenner vertreten die Auffassung, italienische und deutsche Geheimdienste hätten dem Alt-Nazi die »Flucht« ermöglicht. Bei seiner Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland wurde er jedenfalls von seinen Anhängern mit frenetischem Beifall begrüßt. Unbehelligt verlebte er mit seiner Familie noch ein ganzes Jahr, ehe er starb.
    Die vom Tausendjährigen Reich und vom wiederauflebenden
    Römischen Imperium träumenden Visionäre aus Deutschland
    und Italien fanden ein schmähliches Ende. Adolf Hitler soll am 30. April 1945 eigenhändig aus dem Leben geschieden sein – was, wie wir ja inzwischen wissen, ganz auf der Linie der suizidalen Tradition Österreichs liegt. Bereits zwei Tage vor ihm war Benito Mussolini von der Bühne abgetreten. Die kniffligen Details überließ er lieber anderen. Ungefähr ein Jahr später erreichte Nico ein Brief von Bruno Sacchi, in dem das Blutgericht mit durchaus melancholischen Worten beschrieben wurde.

    Lieber Nico!

    Bitte verbrenne meinen Brief nicht, bevor du ihn gelesen hast.
    Alles tut mir so Leid! Du hattest Recht. Ich war eifersüchtig auf dich, weil Laura nicht mich, sondern dich liebte. Außerdem war ich vernagelt. Heute ist mir das klar. Ich dachte, wer nicht mit der Resistenza ist, der muss auf der Seite der Deutschen stehen.
    Deshalb hatte ich dich verraten. Inzwischen habe ich viel er-501
    lebt und schmerzvoll erfahren müssen, dass es außer Weiß und Schwarz noch richtige Farben gibt.
    Du fragst dich bestimmt, was aus mir geworden ist. Als Führer einer Widerstandsgruppe hatte ich versagt. Die ehemaligen Genossen im Latium betrachteten mich mit demselben Argwohn wie ich zuvor dich. Deshalb ging ich aus unserer Heimat fort. Nach einer Odyssee, die zu beschreiben hier zu weit gehen würde, hatte ich mich einer Partisanengruppe in Norditalien artgeschlossen. Ende April letzten Jahres hörten wir, dass unserem alten »Freund«, dem Duce, mit seiner Flamme Clara Petacci die Flucht in die Schweiz gelungen war. Wir haben sie kurz hinter der Grenze trotzdem geschnappt und in Giulino di Mezzegra eingesperrt. Einige von uns wollten Benito den Prozess machen, aber andere empfanden nur Hass für ihn und fürchteten, er könnte sich irgendwie um seine Bestrafung herumdrücken. Da haben wir den Duce und Clara erschossen. Ihre Leichen brachten wir nach Mailand und hängten sie
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