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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris
Autoren: Claude Cueni
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Erben habe ich auch keine, wie soll ich also mein Geld noch ausgeben?«
    Charles gab dem Wärter das Geld. Er steckte es diskret ein, zeigte ansonsten aber keine Reaktion.
    »Und für mich noch zwei Flaschen Bordeaux«, rief der General dem Wärter zu, »und für Monsieur einen Strohballen. Aber einen trockenen.«
    In den frühen Morgenstunden waren Dan-Mali und Charles eingeschlafen. Sie schliefen beidseits des Gitters. Hand in Hand.
    Eigentlich hatte Charles um Dan-Malis Leben betteln wollen. Doch als er am Vormittag in Fouquiers Büro stand und die Liste der Verurteilten las, stockte ihm der Atem. Ohne zu fragen, setzte er sich auf den Stuhl gegenüber Fouquier.
    »Habe ich dir angeboten, dich zu setzen?«
    »Lassen Sie die Frau frei.«
    »Ich weiss, Bürger Sanson, die Kleine aus Siam. Jetzt hast du sie ja doch noch gefunden.« Fouquier blätterte in einer Akte. »Ist noch was?«
    »Ich sagte, Sie sollen sie freilassen. Tun Sie mir den Gefallen, ich werde mich bei der nächsten Gelegenheit erkenntlich zeigen.«
    »Bürger Sanson«, begann Fouquier, »wir haben erstens ein gültiges Gerichtsurteil. Das kann niemand umstossen. Zweitens kannst du dem Chefankläger wohl kaum einen Gefallen erweisen, der es wert wäre, seine Pflichten zu vernachlässigen. Oder willst du den Chefankläger der Revolution bestechen? Die Siamesin wird heute in den Sack spucken, und morgen werden andere folgen. Und wenn duinsistierst, Monsieur de Paris, lasse ich dich in Ketten legen. Wegen Unterstützung einer Konterrevolutionärin. Haben wir uns jetzt verstanden?«
    Charles schwieg. Er begriff, dass Dan-Mali keine Chance mehr hatte, den heutigen Tag zu überleben. Er beugte sich über Fouquiers Schreibtisch. »Ich warne dich, Antoine, wenn Dan-Mali stirbt, wirst du auch sterben.«
    »Oh«, erwiderte Fouquier spöttisch, »so habe ich dich noch nie gesehen, Charles. Du schaust richtig grimmig aus. Ich hatte mich ja schon in Rouen gefragt, was man dir eigentlich antun muss, damit du dich aufbäumst. Das hättest du früher nie gewagt. Siehst du, die Revolution hat dich befreit. Sei dankbar!«
    Dan-Mali wurde zusammen mit drei Prostituierten zum Schafott gefahren. Charles sass neben ihr. Das war nicht ungewöhnlich, da er dies immer wieder tat, um Verurteilte zu beruhigen. Doch diesmal berührte seine Hand während der gesamten Fahrt die schmale Hand der kleinen dunkelhäutigen Frau. Seine Gehilfen senkten den Kopf. Charles war es einerlei. Er liebte diese Frau über alles. Sie hatte sich in seinem Herzen eingenistet, und wenn er sie verlieren sollte, würde er daran zerbrechen.
    Als der Karren auf die Place de Grève einbog, gab es Applaus und Rufe. Doch plötzlich verstummten alle. Dan-Mali hatte sich erhoben, Charles ebenfalls. Er stand neben ihr und überragte sie um zwei Köpfe. Neben ihm wirkte Dan-Mali wie ein Kind.
    »Keine Kinder!«, schrie plötzlich jemand in den hinteren Reihen. »Keine Kinder!«, wiederholten andere, undplötzlich verschmolzen alle Rufe zu einer einzigen Stimme: »Keine Kinder, es ist genug! Aufhören!« In den umliegenden Häusern wurden die Fensterläden geschlossen, als käme die Pest vorbei. Charles wünschte, diese Fahrt möge nie enden. Er hoffte innigst, sie würden ohne Ziel in diesem Fuhrwagen fahren, Hand in Hand, bis ans Ende der Welt. Doch dann sah er die beiden Pfeiler, die senkrecht in den Himmel ragten. Er suchte die Menge ab. Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er an eine Rettung, eine Fügung des Schicksals, ein Wunder. Als die Frauen vor dem Schafott ausstiegen und er die Vertreter der Justiz sah, wusste er jedoch, dass niemand das Verbrechen aufhalten würde.
    »Sei stark«, sagte Dan-Mali, als sie den Fuss auf die unterste Treppenstufe setzte. Sie blieb stehen und schaute ihn an. »Wir sehen uns wieder, kun kwaun, Buddha ist uns wohlgesinnt.«
    Charles wollte Dan-Mali auf der Treppe folgen, doch sie stiess ihn ganz sanft zurück und schüttelte kaum merklich den Kopf. »Es ist nur ein kurzer Abschied. Ich habe keine Angst, Charles. Wir haben ein gutes Karma.« Henri hielt seinen Vater zurück. Er griff ihm unter den Arm und führte ihn unter das Schafott. »Geh nach Hause, Vater, das ist nicht dein Tag.«
    Charles blieb stehen und stützte sich mit beiden Händen an einem Balken ab. Er hörte das Zuschnappen der Lünette, das Heruntersausen des Fallbeils, das Aufschlagen des Kopfes. Blut. Überall Blut. Wie versteinert stand er unter dem Schafott, während das Blut seiner Geliebten
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