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Der heilige Erwin

Der heilige Erwin

Titel: Der heilige Erwin
Autoren: Jasna Mittler
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einem Augenblick.
    Dann fährt Ergen Himmel auf.



23

    E rwin erwacht und liegt neben einer Frau im Bett. Die Sonne scheint durch hell gemusterte Vorhänge.
    Was für ein schöner Traum, denkt er. Er fühlt die wohlige Wärme der Bettdecke, die Behaglichkeit, mit der sein Körper sich an die Matratze schmiegt, so als würde er ganz selbstverständlich dort hingehören. Von der Frau ist nur ein blonder Haarschopf zu sehen. Erwin lauscht ihren regelmäßigen Atemzügen. Er fühlt sich an früher erinnert, an die Zeiten, als es für ihn normal war, die Nacht in einem Bett, ja sogar an der Seite einer Frau zu verbringen. Er wagt sich kaum zu rühren aus Angst, er könnte aufwachen, und der schöne Traum wäre vorbei. Nur ganz vorsichtig schiebt er sein Gesicht näher an den Haarschopf heran, um seine Nase darin zu versenken. Er riecht Zigarettenrauch, Shampooduft und etwas, was ihm einen wohligen Schauer durch den Körper jagt – er riecht die Frau selbst. Außerdem liegt ein Hauch von Orangenaroma in der Luft. Alles zusammen weckt in Erwin einen großen Hunger, der nur bedingt etwas mit dem leeren Magen zu tun hat. Vorsichtig schiebt er seinen Körper näher an die Schlafende heran. Die Frau seufzt leise und dreht sich, wobei sie einen ihrer nackten Arme um Erwin schlingt. Nun kann er in ihr schlafendes Gesicht blicken. Er hat sie noch nie zuvor gesehen, so viel ist sicher. Sie ist nicht mehr ganz jung, aber Erwin findet sie wunderschön. Er betrachtet ihren ausgeprägten Mund, die weichen Wangen und den feinen Haarflaum auf der Haut. Wenn das kein Traum ist, dann kann es nur das Paradies sein, denkt er. War er also doch noch erfroren? Erwin hebt eine Hand an sein Gesicht. Seine Haut riecht nach Orangen, was ihn noch mehr verwirrt. Wild entschlossen beißt er in seinen Daumen. Au, verdammt! Der Schmerz ist echt, so viel steht fest. Während Erwin ratlos die Spuren betrachtet, die seine Zähne in der Haut hinterlassen haben, schlägt die Frau neben ihm die Augen auf. Sie lächelt ein wenig schüchtern und zieht vorsichtig den Arm zurück, den sie um Erwins Taille geschlungen hat. Mit der frei gewordenen Hand reibt sie sich die Augen, stützt sich dann seitlich auf und sieht Erwin an.

    »Guten Morgen!« Ihre Stimme klingt angenehm dunkel und noch etwas verschlafen. Erwin erwidert ihr Lächeln, weiß jedoch nicht, was er sagen soll. Wer ist diese Frau? Und wie um alles in der Welt ist er hier hergekommen? Er versucht, sich zu erinnern. Aber das Einzige, was sich in seinem Gedächtnis findet, ist das undeutliche Bild einer Bushaltestelle und wie er dort auf einer Bank sitzt. Die Weinflasche war umgekippt, das weiß er noch. Aber sonst – Fehlanzeige.
    »Ist alles in Ordnung, Erwin?« Die Frau streicht mit ihrer Hand leicht über seine Wange. Instinktiv greift er danach und drückt sie fest an sein Gesicht. Dann beginnt er zu weinen. Die Frau nimmt ihn in ihre Arme, zieht ihn an sich wie ein Kind und küsst sein Gesicht. Das ist kein Traum. Das geschieht wirklich. Erwin fühlt die Küsse, dann beginnt er, sie zu erwidern. Er umarmt diese fremde Frau, die ihm so seltsam vertraut vorkommt, und es tut unglaublich gut, ihre Haut an seiner zu spüren.
    Später steht Rita auf, um ein Schild an die Tür der Kneipe zu hängen: HEUTE GESCHLOSSEN .Sie kehrt mit zwei Bechern Kaffee ins Schlafzimmer zurück und schlüpft wieder unter die Decke.
    Den Rest des Tages verbringen die beiden im Bett. Sie lieben sich ruhig und bedächtig und erzählen sich dabei gegenseitig ihr ganzes bisheriges Leben.
    So lernen sie einander kennen.



24

    E rschöpft von der langen Reise, kommt Gott im Himmel an. Eigentlich hat er erwartet, sein Büro in grenzenlosem Chaos vorzufinden. Aber Jesus sitzt dort gut gelaunt an einem aufgeräumten Schreibtisch, begrüßt die Neuankömmlinge und heftet alle Unterlagen ordnungsgemäß ab. Als Gott eintritt, ist er gerade dabei, einen etwas überarbeitet aussehenden Menschen zu erlösen. Der Mann wirkt sehr erleichtert und sagt mit näselnder Stimme: »Tausend Dank, mein Herr!«, bevor er sich in Luft auflöst.
    Gott winkt Jesus zu sich. Nachdem sie sich begrüßt haben, überreicht Er seinem Sohn die Zeitungen. »Und ob du es glaubst oder nicht, das ist nur die Spitze des Eisbergs!« Dann schickt Er Jesus fort, auf dass er sich ein erstes Bild von der Situation auf Erden mache. Gott lässt sich an seinem gewohnten Platz hinter dem Schreibtisch nieder. Was für ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein!
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