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Der heilige Erwin

Der heilige Erwin

Titel: Der heilige Erwin
Autoren: Jasna Mittler
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zwischen sich und eskortieren ihn durch lange Flure, bis sie ihn schließlich vor einem Schreibtisch platzieren. Dahinter streicht ein dicklicher Polizeibeamter gerade seinen Schnurrbart glatt. »So, dann wollen wir mal anfangen«, sagt er und spannt ein Blatt Papier in die Schreibmaschine. »Ihr Name?« – »Erwin.« Der Polizist guckt ihn auffordernd an. »Erwin – und wie weiter?« Gott ist verunsichert. Was will der Mann bloß von ihm? Der wird allmählich ungeduldig: »Hören Sie, wenn Sie sich nicht kooperativ zeigen, können wir Sie auch gleich hier behalten, verstanden? Also, können Sie sich ausweisen?« Gott schüttelt traurig den Kopf. Sein Gegenüber seufzt. »Wieso waren Sie ohne gültigen Fahrschein unterwegs?«

    Gott zuckt mit den Schultern und überlegt angestrengt, wie Er sich aus dieser unangenehmen Situation befreien könnte. Schließlich entscheidet Er sich, es mit der Wahrheit zu versuchen. »Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, dass ich einen Fahrschein brauche.« Der Mann lacht höhnisch auf. »Soso, Sie wussten also nicht, dass man fürs Busfahren einen Fahrschein braucht. Wo leben Sie denn, etwa hinterm Mond?« Gott schöpft Hoffnung und nickt bekräftigend. »So ungefähr, ja!«, sagt Er: »Wissen Sie, ich bin gar nicht der, den Sie vor sich sehen. Ich bin Gott und nur für einen kurzen Besuch hier auf Erden, um die Lage der Menschheit zu erkunden. Dabei unterlaufen mir leider manchmal ein paar bedauerliche Missgeschicke, wie nun diese Sache mit der Fahrkarte, aber …« Der Polizist betrachtet ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und fällt ihm dann ins Wort. »Sie sind Gott?« Gott lächelt erleichtert und nickt noch einmal. »Ja, ich bin Gott.« Der Polizist reibt sich nachdenklich das Kinn. Dann winkt er einen Kollegen zu sich, dem er etwas ins Ohr flüstert. Schließlich wendet er sich wieder Gott zu. »Wenn das so ist, Freundchen, verbringst du die Nacht wohl besser hier!« Ehe Er sich’s versieht, hat der Kollege Erwins Arm ergriffen und ihn aus dem Stuhl gezogen. Gott ruft noch: »Nein! Halt! Hier liegt ein Irrtum vor!!« Aber der Polizist ignoriert sein Geschrei und führt ihn ab.



16

    D ie Zelle ist klein. Mit acht Schritten kann Gott sie der Länge nach durchmessen. Dann steht Er vor einer weiß gekachelten Wand, in die weit oben, gleich unter der Decke, ein schmales Fenster eingelassen ist. Man kann nicht hindurchsehen, das Glas ist getrübt. Nur das Gitter, das das Fenster von außen sichert, lässt sich durch die matte Scheibe erahnen. Gott dreht sich um, macht acht Schritte in die Gegenrichtung. Vorbei an der schmalen Liege mit der grauen Decke darauf, vorbei an der Toilettenschüssel, die frei im Raum steht. Acht Schritte. Auf und ab. Auf und ab.
    Er versucht, den Ereignissen etwas Positives abzugewinnen. Immerhin wird Er diese Nacht ein Dach über dem Kopf haben. Dennoch macht es ihn wütend, ja fuchsteufelswild, dass Er nun mit seiner Arbeit schon wieder nicht vorankommt!
    Die Tür wird geöffnet, ein junger Polizeibeamter stellt ein Tablett auf den Boden. »Abendessen. ’n Guten!«, wünscht er und verschwindet sofort wieder. Gott bricht seine Wanderung ab und wendet sich dem Tablett zu. Ein belegtes Brot, in Folie eingepackt, dazu ein Plastikbecher mit lauwarmem Tee. Gott packt das Brot aus seiner Hülle, beißt hinein und setzt sich dann mit dem Brot in der einen und dem Becher in der anderen Hand auf die Liege. Ein Schlafplatz und ein Abendessen. Vielleicht nicht von der besten Sorte, aber immerhin.
    Nach dem Mahl streckt Er sich auf der Liege aus. Erwins Schlafsack haben sie ihm abgenommen, darum muss Er mit der kratzigen Decke vorlieb nehmen, der noch ein wenig der Schweißgeruch des vorherigen Benutzers anhaftet. Während Gott noch über die Ungerechtigkeiten nachsinnt, die ihm auf Erden bisher widerfahren sind, geht mit einem Mal das Licht aus. Jetzt liegt Er auf dem harten Bett und betrachtet das milchige Rechteck oben in der Wand. Vor dem Fenster steht eine Straßenlaterne, die einen schwachen Schein in die Zelle schickt. Das hat beinahe etwas Tröstliches. Über diesen Gedanken schläft Gott ein.
    Als ihn ein lautes Summen aus dem Schlaf reißt, hat Er den Eindruck, dass kaum Zeit vergangen ist. Das Neonlicht der Zelle flackert auf, sodass Gott die gerade geöffneten Augen schnell wieder schließen muss. Dann wird die Tür aufgestoßen.

    »Erwin, Erwin, Erwin.« Ein ältlicher Polizist steht vor der Liege und schüttelt den Kopf. »Was hat dich denn diesmal zu
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