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Der heilige Erwin und die Liebe

Der heilige Erwin und die Liebe

Titel: Der heilige Erwin und die Liebe
Autoren: Jasna Mittler
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den Gedanken schnellstens loswerden.
    Gott schaukelt bedächtig in seinem Sessel, vor und zurück, und hüllt sich in Schweigen.
    Jesus fühlt sich ganz kribbelig. »Nicht aufgeben«, denkt er und verwendet seine ganze Konzentration ­darauf, diesen Gedanken an seinen Vater zu senden, » BITTE NOCH NICHT AUFGEBEN! «
    Plötzlich hält Gott inne und lässt seine Stimme ertönen: »Das ist eine große Entscheidung, die ich da treffen soll«, sagt Er und lässt seinen Blick von einem zum anderen wandern. »Ich breche die Sitzung an dieser Stelle ab. Beizeiten werde ich euch wissen lassen, wie mein Urteil ausfällt. AMEN! «
    Â» AMEN «, antworten die beiden anderen wie aus einem Mund, und die Versammlung löst sich in Luft auf.
    Nach der Dreifaltigkeitssitzung lehnt Jesus am Pfosten der Himmelstür und blickt in die Weiten des Weltalls hinaus. Nachdenklich zupft er an einer vorüberschwe benden Wolke, zwirbelt die Watte zwischen den Fin gern und bläst sie dann von der Handfläche. Er betrachtet den trudelnden Tanz der Fetzen, bevor sie aus seinem Blickfeld verschwinden.
    Plötzlich ertönt Gottes Stimme neben ihm: »Hör mal, Junge, ich habe nachgedacht. Die Sache mit der Erde geht uns doch beiden nicht aus dem Kopf, stimmt’s?«
    Jesus wendet sich um und gewahrt ein hoffnungsvolles Leuchten auf Gottes Antlitz.
    Â»Du weißt doch sicher noch, wie das mit den Menschen angefangen hat. Die Prototypen, erinnerst du dich?« Erwartungsvoll blickt Er seinen Sohn an.
    Â»Adam und Eva«, sagt Jesus.
    Â»Richtig«, nickt Gott bekräftigend. »Und weißt du was? Wir ziehen das einfach noch mal durch. Mit Erwin und Rita als den modernen ersten Menschen!«
    Jesus runzelt die Stirn. »Und die anderen?«, fragt er zögerlich. »Wie willst du die alle … loswerden?«
    Â»Wir müssen niemanden loswerden, das ist ja das Tolle!« Gott schmunzelt. »Ich werde an Erwin und Rita ein Exempel statuieren. Sie werden ein Beispiel dafür sein, wie das Zusammenleben funktionieren kann! Und dann«, hier versetzt Er seinem Sohn einen kumpelhaften Schubs, »müssen wir nur noch dafür sorgen, dass der Rest der Menschheit diesem Beispiel folgt!«
    Â»Hört, hört!«, sagt Jesus, und Gott blickt ihn missbilligend an, denn der ironische Ton ist ihm nicht entgangen. »Okay«, fügt der Sohn beschwichtigend hinzu, »ich bin ja durchaus dafür, dass wir alles versuchen, die Menschheit zu retten. Aber hast du überhaupt eine Idee, wie du das anstellen willst? Du bist nicht gerade ein Experte auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen, oder?«
    Gott bläst beleidigt die Backen auf: »Du hast wohl vergessen, mit wem du redest?«, ruft Er aus. »Ich BIN die allumfassende Liebe in ihrer reinsten Form! Wie sollte ich mich damit nicht auskennen, hä?«
    Â»Reg dich nicht gleich auf, Papa!« Jesus hebt beschwichtigend die Hände. »Ich bezweifele bestimmt nicht deine Liebesfähigkeit. Aber du weißt doch, wie die Menschen sind – schließlich hast du sie selbst entworfen. Bei denen spielen so viele Faktoren eine Rolle, das ist einfach irre kompliziert …«
    Â»Aber DU kennst dich da besser aus, oder was?« Gottes Stimme klingt gekränkt.
    Â»Immerhin war ich einer von ihnen«, sagt Jesus und streicht sein langes Haar zurück, »und zwar deutlich länger als du!«
    Â»Aber das ist ewig her!«, kontert Gott. »Du hast überhaupt keine Ahnung davon, wie das Leben auf der Erde heutzutage aussieht!«
    Â»Ach ja? Seit deiner Rückkehr beschäftige ich mich doch mit fast nichts anderem mehr! Also erzähl du mir bitte nicht, dass ich keine Ahnung hätte!« Jesus funkelt seinen Vater angriffslustig an. Dieser dreht ihm den Rücken zu und starrt nun gleichfalls ins All hinaus. Irgendwo, weit weg, schimmert ein Planet bläulich. Die Erde. Das arme, kleine Sorgenkind …
    Nach einer langen Phase des Schweigens schlägt Gott einen versöhnlichen Tonfall an: »Entschuldige bitte, mein Sohn. Ich weiß, dass du hart an dem Projekt gearbeitet hast.« Jesus schaut auf und nickt kaum merklich. »Die Sache macht mich nur so ohnmächtig!«, fährt Gott fort. »Ich will das in den Griff bekommen, und es klappt nicht! Das bin ich einfach nicht gewohnt.« Er stößt einen tiefen Seufzer aus. »Nein, wirklich, so was wie die Menschen,
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