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Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Titel: Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Autoren: Marcello Simoni
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Abend zu mir setzte. Neugier, dachte ich. Was sich als zutreffend herausstellte. Ich passte nicht hierher, das war nicht zu übersehen, obwohl ich versuchte, alles richtig zu machen, unnötig zu sagen, dass mir das nicht gelang.
    Bei diesem ersten gemeinsamen Feierabendbier riet mir Wessing, das Sortieren nicht zu übertreiben, ich solle keine Wissenschaft daraus machen. Das Metall werde vor dem Einschmelzen ohnehin noch einmal auseinandergeklaubt. Der Ankauf sei so billig, dass der Gewinn für Klemm mindestens zwanzig Prozent betrage. Mit Rohstoffen liege man immer richtig. Langfristig jedenfalls, die Schwellenländer hätten einen Riesenbedarf. Und erst die Chinesen. Ob ich wüsste, dass die Chinesen inzwischen so scharf auf Eisen seien, dass in Teilen Berlins die Kanaldeckel angeschraubt würden, damit sie keiner klaute. Das müsse man sich mal vorstellen: die Kanaldeckel festgeschraubt! Danach schwiegen wir, tranken unser Bier aus und verabschiedeten uns voneinander.
    Am nächsten Tag um die Mittagszeit – Wessing hatte für einen Klogang seinen Aussichtspunkt verlassen – blieb er auf dem Rückweg bei mir stehen, als ich gerade mit schmerzenden Armen darum bemüht war, mit meiner Trennscheibe einer Gerüststrebe den Garaus zu machen. Wessing bückte sich und hob die Ohrenschützer auf, die ich auf den Boden neben die Kabeltrommel geschmissen hatte. Reichte sie mir, während meine Trennscheibe aufkreischte wie eine Vollbremsung nach der anderen.
    »Pass auf deine Finger auf und zieh die Mickymäuse da an.« Wessing musterte mich prüfend. Nahm mir anschließend die Trennscheibe aus der Hand und schnitt den Rest des Stahlgerüsts glatt durch wie ein Brot.
    »Du musst die Maschine selber ziehen lassen. Nicht draufdrücken.«
    Er zwinkerte mir zu und ging. Beeindruckt zog ich die Ohrenschützer an und schob mir die klobige Schutzbrille, die ich in die Tasche gesteckt hatte, über das Gesicht.
    Ich schätzte ihn auf ungefähr fünfzig. Gustav Wessing. Er sah aus wie jemand, von dem man sagen konnte: Er hat etwas hinter sich. Nicht Unglück oder Leid. Herausforderungen eher: Natur, Meer oder Wüste. Heute würde ich mehr über ihn erzählen können, aber schon beim ersten Eindruck wirkte Wessing so, dass ich dachte: auf See gewesen. Sein schmales Gesicht, das doch aus groben Knochen gebaut war, wurde von tief eingeschnittenen Falten unterteilt. Dazu ein altmodisches, ausrasiertes Schnurrbärtchen, so kurz wie seine blonden Stoppelhaare. Das Bärtchen hätte an den meisten Männern lächerlich gewirkt, Wessing gab es das gewisse Etwas. Er war muskulös, hatte den aufgesetzten Bauch des Biertrinkers, den er ungeniert über den Gürtel seiner Jeans quellen ließ. Und er redete mit allen und mit jedem, mit mir eben auch, dachte ich.
    Mit den anderen Angestellten, mit Eminem auf der Waage und mit Herms, sprach ich während der ganzen Zeit bei Klemm vielleicht fünf Sätze. Dann gab es noch Alina, die am PC im Büro saß, meistens im Internet auf Facebook war oder bei »Wer kennt Wen« flirtete und uns nach Feierabend das Bier ausgab, bevor sie ihr Büro abschloss. Den Chef bekam man kaum zu Gesicht, die Schrottleute kamen ohne seine Gegenwart zu Rande. Einmal pro Woche fuhr er in seinem schwarzen Audi über das Gelände, hielt beim Büro, befruchtete Alinas PC mit seinem USB -Stick und stellte sich anschließend für zehn Minuten zu Wessing auf die Plattform. Eine ferne Gestalt, die Hände in den Hosentaschen, mit Glatze, Anzug und Punktkrawatte. Dann fuhr er wieder davon.
    »Die Augen des Herrn machen die Kühe fett«, kommentierte Wessing beim abendlichen Bier dieses Ritual.
    Er erzählte mir Schrottgeschichten, wenn wir nebeneinandersaßen und der Sonne zusahen, wie sie das rötliche Abendlicht auf den irren Formen verbogener Aluminiumprofile spielen ließ, aus dem Rost antike Brauntöne herausholte, auf den Kupferrohren gediegen glänzte, sich in den Öllachen in bunten Chaosformationen spiegelte. Einmal habe man, berichtete Wessing, einen Kühlschrank am Bagger gehabt, altes amerikanisches Modell, schwer wie Blei, und als die Tür aufschwang, seien zwei menschliche Arme herausgefallen. Schon ziemlich verfault, der Kühlschrank habe ja bereits Wochen hier gestanden. Aber ohne Weiteres kenntlich: zwei Frauenarme, weiße Haut. Man habe dabeigestanden, gestaunt. Ringe an den Fingern, nichts Echtes allerdings und auch kein Ehering. Es habe ein enormes Bohei gegeben, die Polizei wäre mit Hunden da gewesen, die den ganzen
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