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Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Titel: Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Autoren: Marcello Simoni
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weisen Angehörigen einer fernen Intelligenz, die die Bewohner der Erde bestrafen wollten für den Mist, den sie fortlaufend produzierten, um ihn anschließend wegzuwerfen. In dem so entstandenen Schrottsee dümpelten ein paar Container, beladen mit blinkenden Metallbändern, verrosteten Regalen, zerknittertem Blech. Eine Plattform ragte aus dem Metallsee, daran ein Schild: »Waage«. Die Waage war das einzige intakte Gebilde auf dem ganzen Gelände, alles andere hatte Form und Maß eingebüßt. Das hatte etwas Biblisches. Der Jüngste Tag. Da wird gewogen.
    Ich blieb im Wagen sitzen, nachdem ich angehalten hatte. Vielleicht wollte ich nicht aussteigen, nachdem ich einen ersten Eindruck gewonnen hatte. Die ARGE hatte den Job bei Klemm als »Sortierer« beschrieben, Vorkenntnisse nicht erforderlich. Ich ließ das Fenster herunter. Die Geruchsprobe ergab ein penetrantes Gemisch aus Schmieröl und Pinkelecke in einer Unterführung. Vielleicht war ich ja am falschen Ende des Letzten Gerichts eingebogen und befand mich bereits in der Hölle. Ich streckte Kopf und Arm aus dem Fenster und winkte mit der Hand in Richtung Waage, wo zwei Männer am Geländer lehnten. Sie blickten zum Horizont, beide in die gleiche Richtung, als befänden sie sich an der Reling eines Schiffes auf hoher See. Einer von ihnen rauchte, das Rauchwölkchen trieb langsam über seinem Kopf davon, bis es sich auflöste. Sie schauten nicht in meine Richtung. Ich winkte noch einmal, erkannte: vergeblich, dann stieg ich aus.
    Der Traktor mit den verkämpften Heuwendern auf dem Anhänger stand inzwischen vor der Waage, die daraufsitzende Mumie im Parka wackelte willenlos im Takt des vor sich hin hämmernden Motors. Einer der beiden Männer auf der Plattform betrat einen verglasten Verschlag, derjenige, der rauchte, blieb am Geländer stehen, ohne seine Haltung zu ändern. Er trug ein Unterhemd und fleckige Jeans, sein Bauch wölbte sich weich über den Gürtel heraus.
    »Was wollen Sie?«, sagte eine heisere Stimme hinter meinem Rücken.
    Ich drehte mich um, ertappt. Überlegte, was ich wollte. Man hätte dazu einiges sagen können, die Frage hing in der Luft, verführerisch: Was ich wolle. Am Ort des Jüngsten Gerichts. Womöglich ein überlasteter Engel. Vielleicht wird im Himmel ja auch das Personal verschlankt. Der Frager trug einen Blaumann und ein unförmig großes Walkie-Talkie aus dem vorigen Jahrhundert, seine Augen irrlichterten. Bei seinem Anblick wurde einem sofort klar, welche Zumutung es war, dass jemand da war und möglicherweise etwas wollte. Prompt verursachte die Frage in meinem Gehirn die übliche Unordnung bei grundsätzlichen Fragen. Ich kann das nur mit Mühe unterdrücken. Dann ist es gut, wenn ich gleich etwas zu sagen weiß, wie in diesem Fall.
    Ich sagte: »Das Büro? Wo ist das?«
    Der genervt wirkende Mann runzelte die Stirn, vielleicht weil ich mit dieser einfachen Antwort keinen weiteren Anlass gab, eine Zumutung zu sein, und wies mit dem Walkie-Talkie nach links auf zwei weiter entfernt liegende Schrotthaufen, dann wandte er sich wortlos wieder ab, als hätte ich ihn persönlich enttäuscht. Ich machte mich auf den Weg. Vorher warf ich noch einen kurzen Blick auf meinen blassroten Subaru. Ich hielt es nicht für wahrscheinlich, dass man den Wagen versehentlich in einen der Container einsortieren würde, obwohl er schon ziemlich angerostet war und der rechte Kotflügel eine hässliche Beule hatte. Schließlich waren die Nummernschilder noch dran.
    Der mir angewiesene Weg führte an der Waage vorbei, auf der jetzt der Traktor mitsamt Anhänger gewogen wurde. Beim Vorbeigehen sah ich, dass die vermummte Gestalt auf dem Traktor sich zusätzlich mit einer Sonnenbrille und einem fransigen Vollbart getarnt hatte. Ich stellte mir das Wesen dahinter aus verlöteten Metallteilen bestehend vor, zwei große Muttern anstelle der Augen, schlecht geölte Beinscharniere. Ungefähr so wie den »Tin-Man« im »Zauberer von Oz«. Auf der Plattform der Waage stand noch immer der Mann im fleckigen Unterhemd und rauchte. Er hatte ein gebräuntes, fleischiges Gesicht und ein blondes Schnurrbärtchen, seine Hand lag auf dem Geländer, die Zigarette im Proletengriff, zwischen Daumen und Mittelfinger geklemmt, Zeigefinger auf dem Mundstück. Die andere Hand hatte er gegen die linke Hüfte gestemmt, Handfläche nach außen gedreht. Der Mann sah über mich hinweg in die Ferne, er hatte seine Haltung noch nicht geändert, seitdem ich ihn zum ersten Mal
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