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Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Titel: Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
Autoren: Noam Shpancer
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handelt sich um modische Begriffe. Doch Veränderung, wie sich herausstellt, widerspricht unserer eigentlichen Natur. Menschliche Systeme sind häufig dazu entworfen, sich Veränderungen zu widersetzen und Stabilität anzustreben; und das aus gutem Grund. Ein völlig offenes System ohne eine Vorrichtung, um eine Auswahl zu treffen, zu filtern und äußere Einflüsse in Schach zu halten, wird nicht lange überdauern. Jedes lebende System schützt sich selbst, indem es seine Grenzen schützt; das gilt für die Zelle, für die Organe, den Körper und die Psyche. Sehen Sie sich um: Die Medien des menschlichen Ausdrucks haben sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert, von Höhlenwänden über Steintafeln hin zu Papier und Computerbildschirm. Doch die Geschichten, die von diesen Medien übermittelt werden, die grundlegenden Themen, sind sich bemerkenswert gleich geblieben. Ein Mensch aus der Frühgeschichte, der heute in unserer Mitte landete, wäre von Ihrem
Auto ziemlich überrascht, Eric. Aber er hätte kein Problem damit, das Konzept der Bewegung von Punkt A nach Punkt B zu verstehen, worum es sich bei Ihrem Auto im Prinzip handelt.«
    Die weißzahnigen Mädchen lächeln und blecken ihr weißes Gebiss. Der Blick des Psychologen gleitet über sie hinweg. »Das Haus der Seele«, sagt er, »ist aus Stein erbaut. Möglicherweise heult der Wind durch die Fenster, Menschen gehen durch die Türen ein und aus, tragen einen Computer hinein und schleppen eine Schreibmaschine heraus. Die Sonne wird aufgehen und vom Himmel brennen, Schnee wird fallen, Unkraut aus den Ritzen des Fußbodens wuchern … und dennoch wird der grundsätzliche Eindruck des Hauses unverändert bleiben. Was will ich damit sagen?«
    »Eine tiefgehende psychologische Veränderung ist schwierig«, sagt Jennifer.
    »Ja«, murmelt der Psychologe, »ja. Und deshalb müssen wir demütig und behutsam vorgehen. Das Versprechen, gerettet zu werden, die Zauberformeln und großsprecherischen Reden werden wir Politikern und jung Verliebten überlassen. Wir wollen nicht gedankenlos nach Wachstum und Veränderung streben; nicht um ihrer selbst willen zumindest; nicht um jeden Preis. Wir wollen sie nicht vergöttern. In der Therapie gibt es andere würdige Ziele: Beharrlichkeit, Kontinuität, Stabilität, Unterordnung. Denken Sie daran, dass wir Psychologen im sozialen Kontext Stabilisatoren sind, keine Unterwanderer. Wir agitieren weder, noch rufen wir zur Revolte auf, sondern wir haben den Auftrag, die Menschen wieder zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, zur Normalität, an den Busen des gesellschaftlichen Konsenses …«
    »Aber wer entscheidet das?« Eric wacht auf. »Wer entscheidet, was normal ist? Und warum ist normal überhaupt gut? Es
ist nicht immer gut. Die Sklaverei war einmal normal. Wenn ein Sklave also davonlaufen will, wird der Psychologe versuchen, ihn davon zu überzeugen zu bleiben?«
    »Und Frauen durften früher nicht wählen«, schließt Jennifer sich an, »wenn eine Frau also deprimiert ist, weil sie keine Rechte hat, wird der Psychologe sie dann für krank erklären? Vielleicht ist die Gesellschaft krank.«
    Der Psychologe nickt und lächelt. »In der Tat«, sagt er, »schwierige Fragen und stets relevant. Eindeutig sind wir alle irgendwann auf einem Auge blind und schwach in Bezug auf irgendetwas. Dafür gibt es keine Lösung, nur Bewusstsein und Information, Beharrlichkeit und Zivilcourage. Ein im üblichen Sinne guter Psychologe bewegt sich auf der Grenze zwischen Kultur und Individuum, und von dieser Position aus muss er beides unablässig im Auge behalten. Parallel dazu beobachtet er die ganze Zeit sich selbst, sein eigenes System von Bedeutungen und Wertvorstellungen. Dieser Prozess des genauen Beobachtens wird ihm bewusst machen, dass es nicht eine einzelne Formel gibt, die die Gesamtheit menschlicher Erfahrung umfasst. Deshalb, bei allem Respekt für Wachstum und Veränderung, tun wir gut daran, uns zu erinnern, dass Kapitulation und Konzession im therapeutischen Umfeld keine Schimpfwörter sind. Nicht jeder Klient strebt danach, bis zum Gipfel zu gelangen. Manche streben danach, sicher den Berg hinunterzukommen …«
    »Aber Sie sagten, positiv konnotierte Metaphern seien nützlich in der Therapie«, argumentiert Jennifer, » Wachstum zum Beispiel ist ein Begriff, der positiv besetzt ist.«
    »Ja«, antwortet der Psychologe, »und dennoch, wenn wir alles positiv ausdrücken, verliert der Begriff des Positiven an sich an
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