Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
Das war im Grunde genommen schon jenseits von Gut und Böse. Und makellos war sie auch nicht gewesen, sie hatte Krampfadern an den Waden gehabt.
    Und nun war es bereits so weit gekommen, dass er eine viel zu schwere Frau fünfmal getroffen hatte, obwohl es sein erklärtes Ziel war, sich mit keiner öfter als dreimal einzulassen. Wurde er alt und mürbe? Nach dem einen Mal mit Doreen Ash, der Frau, die das System durcheinandergebracht hatte? Es konnte doch kein Zufall sein, wie sehr sich die Anzahl der Liebhaberinnen nach dem einen Mal mit ihr reduziert hatte, auf weniger als eine im Monat während der vergangenen drei Jahre.
    Alt und mürbe. Und geradezu taumelig in dieser Bar nach dem Zufallscocktail des heutigen Abends.
    Wie hat er mich aufspüren können, dieser Taxifahrer mit dem Strauß?
    Hier kommt kein anderer Ort in Frage.
    Du meinst, er war sich sicher, mich hier zu finden?
    Er ist sich immer sicher. Der Mann hat telepathische Fähigkeiten. Der reinste Hellseher.
    Ist das vielleicht ansteckend hier bei euch auf der Halbinsel? Ist Una vielleicht auch Hellseherin?
    Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass ihr nichts entgeht.
    Und was ist mit dir?
    Schon möglich, dass ich sehen kann. Aber das behalte ich für mich.
    Du hast mich also heute Abend schon einmal gesehen?
    Natürlich habe ich dich vor Unas Haus gesehen. Du hast eine gelbe Rose auf den Weg zu ihrem Haus geworfen.
    Woher weißt du, dass sie gelb war, dass es eine Rose war?
    Ich habe sie mir angeschaut.
    Willst du damit sagen, dass du mir bis hierher nachspioniert hast?
    Es war nicht nötig, dir nachzuspionieren. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu wissen, wo Menschen hingehen. Dass du lange im Ausland gelebt hast, ist so sonnenklar, dass man es dir im Dunkeln ansehen kann. Insofern lag es auf der Hand, dass du dich nicht mit Taxirufnummern auskennst – also musstest du einfach hier landen. Viel zu kalt, um bis in die Innenstadt zu gehen, du hast ja nicht einmal was auf dem Kopf.
    Der Reisende verspürte Lust, sie zu fragen, ob sie zu viel Sherlock Holmes gelesen hätte, aber stattdessen sagte er:
    Bist du Stammgast hier?
    Ich schau ab und zu mal herein. Lúther Indriði ist ein Cousin von mir. Er hat mal im Hôtel Meurice in Paris gearbeitet, da nehmen sie nur absolute Spitzenkräfte. Vor drei Jahren ist er wieder nach Island gekommen. Er hat Alkoholprobleme.
    Da ist er ja sozusagen in einer Schlüsselposition, um diesen Problemen jeden Abend zu Leibe zu rücken.
    Cousin Lúther geht es nicht gut. Seine Depressionen erreichen so langsam ein gefährliches Stadium. Alkohol ist Gift für solche Menschen, und Alkohol macht einen natürlich auch depressiv. Was mich betrifft, so lasse ich als Erstes die Finger vom Alkohol, wenn es mir ungewöhnlich schlecht geht. Und als Nächstes vom Kaffee. Wenn das nichts hilft, gehe ich morgens und abends in die Sauna. Das reinigt unglaublich.
    Dem war nicht zu widersprechen, dass die Frau rein war. Dieser Reisende konnte das beurteilen, da er über einen besonders ausgeprägten Geruchssinn verfügte. Ob Seife, Parfüm, Schweiß, Sauberkeit beziehungsweise Unsauberkeit im Allgemeinen und Besonderen – kein Odeur bei anderen Leuten entging ihm. An dieser Frau war jedoch nicht einmal ein Hauch von irgendeinem Shampoo wahrzunehmen. Und sie roch auch nicht aus dem Hals. Wenn man ihn gefragt hätte, ob es Leute gäbe, die nach nichts riechen, hätte er das rundheraus abgestritten. Allenfalls Gespenster. War sie eins? Eine Wiedergängerin aus Unas Nachbarhaus? Ein ausgesandter Spuk? Und wer hatte sie gesandt?
    Der Reisende hätte nun am liebsten die Rede auf das spezifisch isländische Steckenpferd gebracht, den Mitmenschen Spukgestalten auf den Hals zu hetzen, fand aber keinen Aufhänger dafür. Stattdessen stellte er eine persönliche Frage der Art, die er sich eigentlich abtrainiert hatte: Lebst du allein?, fragte er.
    Ich lebe allein auf zwei Etagen. Ich habe noch nicht einmal eine Katze, nur einen Goldfisch. Ein Goldfisch ist natürlich keine Gesellschaft, das leuchtet dir sicher ein. Eine Katze wäre so etwas wie Gesellschaft, vorausgesetzt, dass es ein Tier ist, das etwas auf sich hält. Ein Goldfisch ist im Grunde genommen ein völlig totes Dingsda. Ich lese viel, aber mehr als sieben Stunden am Tag kann man einfach nicht lesen, und dann bleiben immer noch viele Stunden übrig. Ich leide an Nervenentzündungen und bin behindert, und außer Una und Lúther treffe ich nicht viele Leute.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher