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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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Intonation.
    Mitten im Lied standen die beiden Raucher auf, um elegant das klapperdürre Tanzbein zu schwingen, bis die Stimme von Ástamama verklang:
    … nur eine Weile im Traum …
    Die sind schwul, sagte eine Frau, die plötzlich an der Bar aufgetaucht war, aus keiner sichtbaren oder hörbaren Richtung.
    Sie tanzen gut, sagte der Reisende und sah, wie die beiden Hand in Hand zu ihren Plätzen gingen.
    Jón war Tanzlehrer. Biffi hört nicht mehr. Die beiden waren eines der allerersten Schwulenpaare in der Stadt, die aus dem Schrank gekommen sind. Für die beiden soll ein Museum gegründet werden.
    Er hätte ihn von sich aus nicht wiedererkannt, den Jón von damals mit der schwarzen Mähne und den großen Gesten, der zu Ástamama kam, um mit ihr zu plaudern und etwas für sich nähen zu lassen. Und vielleicht konnte er sich auch jetzt nur deswegen an ihn erinnern, weil einmal, als Jón zu Besuch kam, ein elfjähriges Mädchen gerade die Treppe hinuntergetrippelt war. Er hatte wie ein Ölgötze mit einem Glas Milch und einem Keks in der Hand in der Küchentür gestanden, und der Neuankömmling hatte spöttisch gesagt: Wohl bekomm’s.
    Und woher kommen wir?, fragte die Frau.
    Was dich betrifft, weiß ich das nicht, sagte der Reisende, aber ich komme von einem Spaziergang.
    Ja, hier ist es schön zum Spazierengehen, sagte die Frau. Die Meeresluft. Und der Snæfellsjökull praktisch vor der Haustür.
    Den hatte ich vergessen.
    Wie kann man den Snæfellsjökull vergessen? Du lebst wohl im Ausland? Ja, du lebst im Ausland. Du hast einen Akzent.
    Hatte er einen Akzent? Er, der sich die größte Mühe gab, lupenreines Isländisch zu sprechen, die seltenen Male, die er Gelegenheit dazu hatte; er, der gezielt daran arbeitete, die Muttersprache nicht zu verlieren, der im Auto alle möglichen isländischen Hörbücher hatte, sogar die Saga vom weisen Njáll, gelesen von Einar ”lafur Sveinsson. Es machte ihm schwer zu schaffen, dass er einen Akzent haben sollte.
    Na schön, erklärte er. Ich habe kein Interesse daran, akzentlos unter falscher Flagge zu segeln und mich für einen Isländer auszugeben.
    Aus welchem Land kommst du dann?
    Ich bin Deutschamerikaner, oder Amerikadeutscher.
    Ist deine Mutter Amerikanerin?
    Umgekehrt, mein Vater war Amerikaner.
    Er hoffte, dass sie sich entfernen und ihn mit seinem teuer erkauften Whisky und dem Bild von einer Frau, die Vorhänge zuzog, allein lassen würde. Aber die Person war hartnäckig.
    Wer war sie eigentlich? Nicht jung, nicht alt. Nicht schön, nicht hässlich. Nicht betrunken, zumindest nicht sehr. Aber auch keineswegs nüchtern. Sie trug eine gutgeschnittene Lodenjacke und einen Wollschal von guter Qualität, beides in einer undefinierbaren Farbe. Rostrot? Graugrün? Und sie führte sich auch irgendwie wie diese Farben auf, nichtssagend. Ihre Stimme klang flach und ein wenig larmoyant. Aber sie stellte aufdringliche und persönliche Fragen. Jetzt kam sie zum Hauptpunkt, und ihre Stimme war nicht frei von einem vorwurfsvollen Unterton:
    Dann ist also gar kein isländisches Blut in dir?
    Nicht ein Tropfen, leider.
    Und wieso kannst du so gut Isländisch?
    Mein Vater hat in Island gearbeitet, ich habe als Kind etliche Jahre hier verbracht. Meine Mutter konnte auch sehr gut Isländisch. Sie las gottweißwas für Bücher, und sie kannte sogar Halldór Laxness persönlich.
    Du lügst, das glaube ich dir nicht, sagte die Frau und klang jetzt, als fühlte sie sich angegriffen.
    Ja, es mag für dich wie ein Lügenmärchen klingen, sagte der Reisende und stellte im gleichen Augenblick fest, dass er lügen konnte wie gedruckt. Der Mann, der seit den Phantasiegeschichten seiner Kindheit nie jemanden nennenswert angeschwindelt hatte, abgesehen von seinen Liebhaberinnen natürlich.
    Halldór Laxness hätte ich auch wahnsinnig gern gekannt, sagte die Frau und zog die Nase hoch.
    Man braucht einen Schriftsteller nicht persönlich zu kennen. Man kommt ihm viel näher, wenn man seine Bücher liest. Den Menschen kannst du viel besser einschätzen, wenn du nichts als seine Worte vor dir hast. Kein störender Tonfall, keine Gestik, um Worte zu verschleiern oder hervorzuheben.
    Das sagte der Reisende so entschlossen, als stünde er am Rednerpult des Debattierclubs in seiner alten Schule; von diesem Standort aus hatte er so manches noch nicht verhärtete Schulkameradinnenherz zum Schmelzen gebracht, ohne es zu merken. Es gab nämlich nur ein Herz, das ihm etwas bedeutete.
    Ich glaube, niemand
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