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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern
Autoren: Lin Carter
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Bis zu diesem Moment hatte ich keine körperlichen Wahrnehmungen gekannt; nun donnerte plötzlich wieder der Puls in meinen Ohren, das Herz arbeitete in meiner Brust, und meine Lungen, gierig nach Luft, schmerzten.
    Die Muskeln und Sehnen reagierten augenblicklich auf den Schock; ohne es zu wollen, richtete ich mich auf, und meine Arme hoben sich. Der Schwertknauf, den meine Hände umklammerten, durchstieß den Deckel des Glassarkophags, der in tausend Scherben zersplitterte.
    Die Explosion berstenden Glases füllte die Halle mit klirrenden Echos. Hundert erschrockene Augenpaare blickten plötzlich in meine Richtung und sahen mich von meinem Platz unter den glorreichen Toten aufstehen. Das Wunder meiner Wiederauferstehung preßte ein verblüfftes Keuchen aus hundert Kehlen.
    Aber keiner von allen war über diese unvermutete Wendung erstaunter als ich. Denn ich war nicht willentlich in diese tote oder scheintote Gestalt eingegangen. Ich war von einer unbekannten Kraft hineingezwungen worden, eingesogen wie ein nichtsahnender Schwimmer, der unversehens in einen Strudel gerät.
    Akhmim starrte mich an wie eine Erscheinung. Ich bemerkte, daß meine Auferstehung seine Arroganz und Selbstgewißheit erschütterte. Und kein Wunder, mußte er doch den Eindruck gewinnen, daß sie die Antwort auf sein Ultimatum war.
    Sekundenlang standen alle starr vor Staunen. Niemand sprach, niemand bewegte sich. Endlich trat ein älterer Mann aus den Reihen der Höflinge hervor, kam zögernd näher und redete mich an. Ich entnahm seinem Tonfall, daß er mir eine Frage stellte, aber ich hatte keine Ahnung, was er von mir wissen wollte, denn die Sprache war mir völlig unbekannt.
    Ich stand unbeweglich wie alle anderen, nachdem ich mich erhoben hatte, aber ich tat es nicht freiwillig: ich litt unter Schwindelgefühl und den übrigen Erscheinungen erneuerter Blutzirkulation in einem Körper, der geraume Zeit leblos gelegen hatte. Dieser Scheintote mußte ziemlich lange Zeit in seinem gläsernen Grab verbracht haben, denn meine Arme und Beine, in denen nun das belebende Blut prickelte, waren fast gefühllos und bleischwer, und die bewegungsungewohnten Muskeln schmerzten von der plötzlichen Anstrengung des Aufstehens, als ob ihre Fasern gerissen wären.
    In diesem Zustand war ich kaum in der Lage, die Frage des Mannes aufzunehmen, geschweige denn, ihr irgendeine Interpretation zu geben. Erst als er sie wiederholte, dämmerte mir, daß sie eine Bedeutung haben könnte, daß man eine Antwort von mir erwartete und daß von meiner Antwort manches abhängen mochte. Durch reinen Zufall, ohne auch nur nachzudenken, traf ich das Richtige.
    Ich nickte.
    Im nächsten Moment widerhallte die hohe Kuppel von den Jubelrufen der Hofgesellschaft. Freude und Erleichterung leuchteten aus aller Augen. Die schöne Niamh drückte ihre kleine Hand an ihr Herz und strahlte mich an, als wolle sie mich umarmen, voll von unsäglicher Erleichterung, und ein stämmiger Offizier der Leibgarde zog sein Schwert aus der Scheide und reckte es salutierend in die Höhe. Wer ein Schwert hatte, folgte seinem Beispiel, und hundert Stimmen brüllten wieder und wieder dasselbe Wort:
    »Chong! Chong! Chong!«
    Und ich begriff, daß es kein Hochruf war, sondern ein Name.
    Mein Name.

5. Die Weisheit Khinnoms
    Auf Anordnung meiner königlichen Gastgeberin wurde eine Reihe von Prunkgemächern des Palasts für mich reserviert, und einer Abteilung Leibgardisten wurde die Ehre zuteil, diese Räume zu bewachen und für mein persönliches Wohl zu sorgen. Chef dieser Abteilung war der energisch aussehende Offizier, der mich als erster gegrüßt hatte. Sein Name war Panthon.
    Mein voller Name war, wie es schien, Chongaphon tai-Vena, und wie ich nach und nach herausbrachte, war der wackere Chong ein Kriegsheld von mythischem Ruhm gewesen, ein Vollbringer legendärer Taten. Niemand von denen, die mich bei meinen seltenen öffentlichen Auftritten umdrängten, zweifelte daran, daß ich jener gewaltige Held war, zur rechten Zeit in meinem Originalkörper wiedergeboren, den man für genau diesen Fall sorgfältig erhalten hatte. Es existierte eine alte Prophezeiung, nach der der edle Chong in einer Zeit großer Not und Bedrängnis wiederkehren werde, um die Krieger Phaolons wie in den Tagen seines früheren Wirkens zum Sieg zu führen und drohendes Unheil abzuwenden.
    Wahrscheinlich wurde meine totale Unwissenheit in allem, was mit den Laonesen, ihrer Geschichte, ihrer Sprache und ihren Sitten
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