Der grüne Stern
zusammenhing, vor der Mehrzahl der Höflinge und dem übrigen Volk sorgfältig geheimgehalten. In der ersten Zeit kam ich nur mit wenigen Leuten zusammen, und es waren immer dieselben. So hoffte man anscheinend das peinlichste Element meiner ›Amnesie‹ – denn als solche betrachtete man meine Unwissenheit –, nämlich meine völlige Unvertrautheit mit der Sprache, der öffentlichen Diskussion zu entziehen.
Mein Lehrer in allem war derselbe ältere Mann, der mich am Tag meiner vermeintlichen Wiederauferstehung so beherzt angesprochen hatte, als die anderen noch in Verblüffung und abergläubischem Schrecken verharrt waren. Er hieß Khinnom und war einer der Hauptberater der jungen Prinzessin, was ihm angesichts ihrer Unerfahrenheit sicherlich eine Machtposition von großem Einfluß sicherte.
Mir gegenüber ließ er sich nichts davon anmerken. Für mich war er einfach ein liebenswürdiger, geduldiger und gelehrter alter Mann, der sich in seiner Welt auskannte. Er war zu klug, um mich mit der ehrfurchtsvollen Verehrung zu behandeln, die mir von manchen anderen entgegengebracht wurde und die mir lästig war. Mehrere Stunden täglich lehrte er mich die laonesische Sprache, und dank seiner intensiven Schulung machte ich rasche Fortschritte, die ich meiner Sprachbegabung zuschrieb; doch zuweilen hatte ich das merkwürdige Gefühl, als brauche ich mich bloß an eine Sprache zu erinnern, die ich einmal beherrscht hatte. Und dann stellten sich beunruhigende Gedanken ein, die das Gehirn und das persönliche Selbst dieses Mannes betrafen, in dessen Körper ich zur Untermiete wohnte, und ich fragte mich, ob von der ursprünglichen Persönlichkeit noch etwas erhalten sein mochte, das sich allmählich zu regen beginnen und mir die Herrschaft über den Körper streitig machen würde. Doch dann tröstete ich mich damit, daß ich irgendwelche fremden Impulse zeitig genug ausmachen würde.
Was immer der Grund war, der tägliche stundenlange Unterricht, meine rasche Auffassungsgabe oder etwas anderes, ich lernte die Sprache in bemerkenswert kurzer Zeit soweit, daß ich in Gesprächen allgemeiner Art meinen Mann stehen konnte. Mein Lehrer schien recht zufrieden mit meinen Fortschritten, und auch ich war nicht unzufrieden mit mir.
Dieser Khinnom war ein würdevoller, doch warmherziger Mann, schlank und mit einem Meter siebzig recht groß für seinesgleichen. Er hatte lange, schöne Hände und ausdrucksvolle Augen. Ich glaube, daß er kahlköpfig war, weiß es aber bis heute noch nicht mit Sicherheit, weil ich ihn nie ohne den hohen fünfeckigen Hut aus steifem Brokat sah, der vielleicht Rangabzeichen, vielleicht auch nur Kopfschmuck war. Ich war vorsichtig genug, persönliche Fragen dieser Art zu vermeiden, die möglicherweise einen Verstoß gegen die Etikette darstellten. Sein langes und spitzes Kinn zierte ein Ziegenbart, den er in verschiedenen Farben zu tönen pflegte, die mit seinem jeweiligen Gewand harmonierten. Wenn er eine Schwäche hatte, dann war es die einer gewissen Eitelkeit, wie sie sich in solchen kleinen Eigentümlichkeiten verriet.
Khinnom nahm seine Aufgabe ernst und erfüllte sie gewissenhaft und systematisch, ohne sich von seinem Programm ablenken zu lassen. Jeden Nachmittag erschien er in meiner Wohnung, verbeugte sich mit aneinandergelegten Händen, setzte sich auf einen Hocker aus geschnitztem Elfenbein und begann ohne Umschweife mit der Sprachlektion, wo er am Vortag aufgehört hatte. Nach einiger Zeit, als ich gelernt hatte, mich mit einfachen Worten auszudrücken, versuchte ich einige Male, ihn in ein Gespräch zu verwickeln und Antworten auf die vielen Fragen zu erhalten, die mich beschäftigten. Aber er ging auf keinen dieser stockenden Anläufe ein. Entweder hatte er Anweisung, meine Fragen nicht zu beantworten, oder er unterließ es aus Gründen, die nur ihm selbst bekannt waren.
Um trotzdem zu meinen Antworten zu kommen, machte ich mich an den braven Panthon heran, den Chef meiner Leibwache.
»Panthon«, fragte ich ihn, als wir allein waren, »was denken die Leute von mir?«
»Was sollen sie denken Herr?« sagte er in seiner barschen Art. »Daß der gewaltige Chong wiedergekehrt ist.«
»Findet ihr es normal, daß die Toten wiedergeboren werden und ein zweites Mal leben?«
Die Frage schien ihn zu verwirren, und er erging sich in umständlichen Erklärungen, die etwa darauf hinausliefen, daß solches in den religiösen Lehren gelegentlich vorkäme, aber noch nie im wirklichen Leben beobachtet
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