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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf
Autoren: Raymond Chandler
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gewundert?«
    »Die Rusty-Regan-Sache vielleicht. Ich selbst bin aber mit Schnapsschmugglern immer gut ausgekommen.«
    Er lächelte sein schwaches, sparsames Lächeln. »Ich offenbar auch. Ich mag Rusty sehr gern. Ein großer irischer Lockenkopf aus Clonmel, mit traurigen Augen und einem Lächeln so breit wie der Wilshire Boulevard. Als ich ihn das erste Mal sah, dachte ich, er wäre das, wofür Sie ihn vermutlich auch halten – ein Abenteurer, der es zu ein paar samtenen Plünnen gebracht hat.«
    »Sie müssen ihn wirklich gern gehabt haben«, sagte ich.
    »Jedenfalls sprechen Sie seine Sprache.«
    Er steckte seine langen, blutleeren Hände unter den Deckenrand. Ich rauchte meine Zigarette zu Ende und trank aus. »Er war das blühende Dasein für mich – solange er da blieb. Er hat ganze Stunden bei mir zugebracht, schwitzend wie ein Schwein, literweise Brandy trinkend und voller Geschichten von der irischen Revolution. Er ist Offizier in der I.R.A.
    gewesen. Er war nicht mal legal in den Vereinigten Staaten. Es war natürlich eine lachhafte Ehe, und sie hat wohl kaum einen Monat gehalten, als Ehe. Ich erzähle Ihnen
    Familiengeheimnisse, Mr. Marlowe.«
    »Das sollen sie auch bleiben«, sagte ich. »Was ist aus ihm geworden?«
    Der alte Mann sah mich steif an. »Er ist verschwunden, vor einem Monat. Urplötzlich, ohne ein Wort zu sagen. Ohne Abschied von mir. Das hat ein bißchen weh getan, aber er ist eben durch eine harte Schule gegangen. Eines schönen Tages wird er schon von sich hören lassen. Aber inzwischen werde ich wieder einmal erpreßt.«
    Ich sagte: »Wieder mal?«
    Seine Hände kamen mit einem braunen Umschlag unter der Decke hervor. »Der arme Kerl hätte mir leid getan, der mich hätte erpressen wollen, solange Dusty da war. Ein paar Monate vor seiner Zeit – das heißt, vor ungefähr neun oder zehn Monaten – habe ich einem gewissen Joe Brody fünftausend Dollar gezahlt, damit er meine Tochter Carmen in Ruhe ließ.«
    »Ah ja«, sagte ich.
    Er bewegte die dünnen weißen Brauen. »Was heißt das?«
    »Nichts«, sagte ich.
    Er starrte mich weiter an, mit leicht gerunzelter Stirn. Dann sagte er: »Sehen Sie sich mal diesen Brief an. Und bedienen Sie sich mit Brandy.«
    Ich nahm ihm das Kuvert von den Knien und setzte mich damit wieder hin. Ich wischte mir die Handflächen ab und drehte es um. Es war adressiert an General Guy Sternwood, 3765 Alta Brea Crescent, West Hollywood, Californien. Die Adresse war mit Tinte geschrieben, in der schrägen Druckschrift, wie sie in technischen Büros benutzt wird. Der Umschlag war aufgeschlitzt. Ich machte ihn auf und holte eine braune Karte und drei steife Papierstreifen heraus. Auf der Karte aus dünnem, braunem Leinenpapier stand in Golddruck:
    »Mr. Arthur Gwynn Geiger.« Keine Adresse, nur ganz klein in der linken unteren Ecke: »Seltene Bücher und
    Luxusausgaben.«
    Ich drehte die Karte um. Auch hinten die gleiche schräge Druckschrift: »Sehr geehrter Herr! Obwohl Beiliegendes rechtlich nicht einklagbar ist, da es zugegebenermaßen Spielschulden darstellt, darf ich annehmen, daß Sie es einlösen möchten. Hochachtungsvoll, A. G. Geiger.«
    Ich sah mir die drei steifen weißen Papierstreifen an. Es waren Schuldscheine, mit roter Tinte ausgefüllt und datiert auf verschiedene Tage von Anfang September, dem vorigen Monat. »Auf Vorlage dieses verpflichte ich mich, an Arthur Gwynn Geiger oder Überbringer die Summe von $ 1000 (eintausend Dollar) ohne Zinsen zu zahlen. Gegenwert erhalten. Carmen Sternwood.«
    Der handschriftliche Teil schien mit seinen vielen wilden Schnörkeln und Kreisen statt Punkte von einem echten Kretin hingekritzelt worden zu sein. Ich mixte mir einen neuen Drink, nahm einen Schluck und legte das Belastungsmaterial beiseite.
    »Ihre Meinung?« fragte der General.
    »Ich habe noch keine. Wer ist dieser Arthur Gwynn Geiger?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    »Was sagt Carmen dazu?«
    »Ich habe sie nicht gefragt. Ich werde sie auch nicht fragen.
    Wenn ich es täte, würde sie doch nur am Daumen lutschen und bockig gucken.«
    Ich sagte: »Ich habe sie in der Halle getroffen. Mit mir hat sie das auch gemacht. Noch dazu wollte sie sich mir auf den Schoß setzen.«
    Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Seine gefalteten Hände ruhten friedlich auf dem Deckenrand, und die Hitze, in der ich mir vorkam wie ein Suppenhuhn beim Sieden, schien ihn nicht einmal zu wärmen.
    »Muß ich höflich sein?« fragte ich. »Oder gehtś auch
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