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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf
Autoren: Raymond Chandler
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mit Offenheit?«
    »Ich habe nicht bemerkt, daß Sie unter großen Hemmungen leiden, Mr. Marlowe.«
    »Streunen die beiden Mädchen gemeinsam durch die Gegend?«
    »Ich glaube kaum. Sie rennen wohl auf getrennten und leicht voneinander abweichenden Wegen in ihr Verderben. Vivian ist verzogen, anspruchsvoll, raffiniert und ziemlich skrupellos.
    Carmen ist ein Kind, das den Fliegen gern die Flügel abreißt.
    Keine von beiden hat mehr Moral als eine Katze. Ich übrigens auch nicht. Kein Sternwood hat je welche gehabt. Fahren Sie fort.«
    »Vermutlich hatten sie eine gute Erziehung. Wissen Sie, was sie tun?«
    »Vivian hat gute Schulen für kleine Snobs besucht und war auf dem College. Carmen ist durch ein halbes Dutzend Schulen gegangen, eine liberaler als die andere, und hörte schließlich da auf, wo sie angefangen hatte. Ich nehme an, sie beide hatten und haben noch immer die üblichen Laster. Für einen Vater mag das ein bißchen finster klingen, Mr. Marlowe. Aber mein Interesse an diesem Leben ist zu schwach geworden, als daß ich noch viktorianische Heuchelei nötig hätte.« Er lehnte seinen Kopf zurück und schloß die Augen, dann schlug er sie plötzlich wieder auf. »Ich muß nicht hinzufügen, daß ein Mann, der im Alter von vierundfünfzig zum erstenmal Vaterfreuden genießt, eben das bekommt, was er verdient hat.«
    Ich nahm einen Schluck und nickte. An seiner dürren grauen Kehle schlug der Puls, sichtbar und doch so langsam, daß es kaum noch ein Puls zu nennen war. Ein alter Mann, schon zu zwei Dritteln tot und dennoch entschlossen, sich nichts vorzumachen.
    »Ihre Meinung?« fragte er plötzlich.
    »Ich würde zahlen.«
    »Warum?«
    »Es ist wenig Geld und spart viel Ärger. Irgendwas muß ja wohl dahinterstecken. Aber es wird Ihnen nicht gleich das Herz brechen, wenn es nicht schon geschehen ist. Und es gehört schon eine ganze Menge von Strolchen mit massenhaft Zeit dazu, um Sie so auszunehmen, daß Sieś auch merken.«
    »Ich habe meinen Stolz, Sir«, sagte er kalt.
    »Eben darauf scheint jemand zu bauen. Es ist die leichteste Art, einen weich zu machen. Das oder die Polizei. Geiger kann diese Scheine einlösen, wenn Sie ihm keine betrügerische Absicht nachweisen können. Statt dessen macht er sie Ihnen zum Geschenk und gibt zu, daß es sich um Spielschulden handelt. Damit haben Sie etwas gegen ihn in der Hand, selbst wenn er die Scheine behalten hätte. Wenn er ein Gauner ist, dann weiß er jedenfalls, wie man Zwiebeln schält. Und wenn er ein ehrlicher Kerl ist, der sich nebenher ein bißchen mit Darlehensgeschäften abgibt, dann sollte er sein Geld bekommen. Wer war dieser Joe Brody, dem Sie die fünftausend Dollar gezahlt haben?«
    »Irgendein Spieler. Ich weiß es nicht mehr genau. Norris wird es noch wissen. Mein Butler.«
    »Haben Ihre Töchter eigenes Vermögen, General?«
    »Vivian ja, aber kein großes. Carmen ist nach dem Testament ihrer Mutter noch minderjährig. Ich gebe beiden ein üppiges Taschengeld.«
    Ich sagte: »Ich kann Ihnen diesen Geiger vom Hals schaffen, General, wenn Sie es unbedingt wollen. Wer immer er sein mag und was er auch hat. Es wird Sie einiges kosten, außer dem, was Sie mir zahlen. Und natürlich erreichen Sie damit gar nichts. Bei denen zieht die weiche Tour nicht. Die haben Sie längst als teuren Namen auf ihrer Liste stehen.«
    »Ich verstehe.« Er zuckte die breiten, spitzen Achseln im ausgeblichenen roten Bademantel. »Vor einer Minute haben Sie gesagt, ich solle zahlen. Nun sagen Sie mir, es sei zwecklos.«
    »Ich meine nur, es wäre vielleicht billiger und bequemer, wenn Sie sich bis zu einem gewissen Maß ausnehmen ließen.
    Das ist alles.«
    »Ich fürchte, dazu bin ich zu ungeduldig, Mr. Marlowe.
    Wieviel berechnen Sie?«
    »Ich bekomme fünfundzwanzig pro Tag plus Spesen – wenn ich Glück habe.«
    »Ich verstehe. Das scheint mir ein vernünftiger Preis dafür, daß Sie einen Menschen von einem schlimmen Geschwür befreien. Eine ziemlich heikle Operation. Das ist Ihnen ja wohl klar. Operieren Sie bloß Ihren Patienten so schonend wie möglich. Vielleicht sind mehrere Eingriffe nötig, Mr. Marlowe.«
    Ich trank mein zweites Glas aus und wischte mir über Lippen und Gesicht. Die Hitze wurde nicht geringer durch den Brandy, den ich in mir hatte. Der General blinzelte mich an und zupfte am Deckenrand.
    »Soll ich mit dem Kerl ins Geschäft kommen, wenn er halbwegs auf dem Teppich bleibt?«
    »Ja. Das Ganze ist jetzt Ihre Angelegenheit. Ich halte nichts
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