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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf
Autoren: Raymond Chandler
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Bademantel gehüllt.
    Seine dünnen, klauenartigen Hände lagen mit purpurn angelaufenen Nägeln locker gefaltet auf der Decke. Ein paar Strähnen trockenen weißen Haars hingen an seinem Schädel wie wilde Blumen, die auf nacktem Fels um ihr Leben kämpfen.
    Der Butler trat auf ihn zu und sagte: »Dies ist Mr. Marlowe, General.«
    Der alte Mann rührte sich nicht. Er sagte nichts, nickte nicht einmal. Er sah mich nur leblos an. Der Butler schob mir einen feuchten Korbstuhl in die Kniekehlen, und ich setzte mich hin.
    Er grabschte mir flink den Hut weg.
    Der alte Mann holte seine Stimme tief aus dem Brunnen und sagte: »Brandy, Norris. Wie trinken Sie Ihren Brandy, Sir?«
    »Das ist mir ziemlich gleich«, sagte ich.
    Der Butler entschwand unter den scheußlichen Pflanzen. Der General sprach weiter, aber langsam. Er gebrauchte seine Kräfte so behutsam wie ein brotloses Revuegirl sein letztes Paar Strümpfe.
    »Ich habe ihn immer gern mit Champagner getrunken. Den Champagner so kalt wie ein Wildbach und etwa ein Drittelglas Brandy mittenrein. Sie dürfen gern Ihre Jacke ablegen, Sir. Es ist viel zu heiß hier für einen Mann, der noch Blut in den Adern hat.«
    Ich stand auf und schälte mich aus der Jacke und holte mein Taschentuch hervor und wischte mir den Schweiß von Gesicht und Nacken und Handgelenken. St. Louis im August war nichts gegen das hier. Ich setzte mich wieder hin und fingerte automatisch nach einer Zigarette, hielt aber rechtzeitig inne.
    Der alte Mann bemerkte die Geste und lächelte schwach.
    »Sie dürfen gern rauchen, Sir. Ich mag den Geruch von Tabak.«
    Ich steckte mir die Zigarette an und blies eine Lunge voll zu ihm hin, und er schnupperte wie ein Terrier vorm Rattenloch.
    Das schwache Lächeln zog an seinen faltigen Mundwinkeln.
    »Ein netter Zustand, wenn ein Mann sich seinen Lastern nur noch per Stellvertreter hingeben kann«, sagte er trocken. »Sie sehen hier die sehr kläglichen Reste eines recht glorreichen Lebens, einen Krüppel mit zwei gelähmten Beinen, dem der halbe Unterleib fehlt. Es gibt nur noch sehr wenig, was ich essen kann, und mein Schlaf ist dem Wachsein so nahe, daß er seinen Namen kaum noch verdient. Es sieht aus, als lebte ich vornehmlich von der Hitze, wie eine neugeborene Spinne, und die Orchideen sind nur eine Entschuldigung für die Hitze.
    Mögen Sie Orchideen?«
    »Nicht besonders«, sagte ich.
    Der General schloß halb die Augen. »Es sind widerliche Dinger. Ihr Fleisch ist dem Fleisch des Menschen zu ähnlich.
    Und ihr Duft hat die süße Verderbtheit einer Prostituierten.«
    Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Die weiche, feuchte Hitze umgab uns wie ein Leichentuch. Der alte Mann nickte, als ob sein Hals sich vor dem Gewicht seines Kopfes fürchtete.
    Dann kam der Butler mit einem Teewagen durch den Dschungel zurück, mixte mir einen Brandy mit Soda, umwickelte den kupfernen Eiskübel mit einer feuchten Serviette und ging wieder leise zwischen den Orchideen davon.
    Hinter dem Dschungel ging eine Tür auf und wieder zu.
    Ich nippte von meinem Drink. Der alte Mann sah mir zu und leckte sich die Lippen, immer und immer wieder, wobei er eine Lippe langsam über die andere schob, düster versunken wie ein Leichenbestatter, der sich die Hände reibt. »Erzählen Sie mir etwas von sich, Mr. Marlowe. Ich nehme an, daß ich Fragen stellen darf?«
    »Klar, aber da gibt es sehr wenig zu erzählen. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt, war früher mal auf dem College und kann immer noch englisch sprechen, woś gebraucht wird. In meiner Branche wirdś wenig gebraucht. Ich habe für Mr.
    Wilde, den Distriktanwalt, Untersuchungen durchgeführt. Sein Chefinspektor, ein Mann namens Bernie Ohls, hat mich zu sich kommen lassen und mir mitgeteilt, daß Sie mich sehen möchten. Ich bin unverheiratet, weil ich Polizistenfrauen nicht mag.«
    »Und ein klein wenig Zyniker sind Sie auch«, lächelte der alte Mann. »Sie haben wohl nicht gern für Wilde gearbeitet?«
    »Er hat mich rausgeschmissen, wegen Befehlsverweigerung.
    Ich mache mich sehr gut als Befehlsverweigerer, General.«
    »Ging mir nicht anders, Sir. Freut mich zu hören. Was wissen Sie über meine Familie?«
    »Ich habe mir sagen lassen, daß Sie Witwer sind und zwei junge Töchter haben, beide hübsch und beide wild. Eine war dreimal verheiratet, das letzte Mal mit einem ausgedienten Schnapsschmuggler, der in der Branche als Rusty Regan bekannt war. Das ist alles, was ich weiß, General.«
    »Hat Sie daran irgend etwas
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