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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman
Autoren: Jennifer Egan
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ein besserer Job bot – aber all die Jahre hatten dazu geführt, dass er das Gefühl hatte, jeden Menschen in Manhattan wenigstens einmal gesehen zu haben. Alex fragte sich, ob Sasha irgendwo in dieser Menge sein könnte. Er suchte die vage bekannten Gesichter nach ihrem ab, ohne zu wissen, wie sie aussah, als würde er zur Belohnung dafür, dass er Sasha nach all diesen Jahren erkannte, die Antwort auf diese Frage finden.
    Ihr geht auch Richtung Süden? … wir haben davon gehört … nicht nur für Patscher … live ist er angeblich …
    Nach dem neunten oder zehnten Wortwechsel dieser Art, der sich irgendwo in der Nähe des Washington Square abspielte, wurde Alex plötzlich bewusst, dass all diese Menschen, die Eltern und die Kinderlosen, die Alleinstehenden und die Paare, homo und straight, clean und gepierced, unterwegs zu Scotty Hausmann waren. Jeder einzelne von ihnen. Erst reagierte er auf diese Erkenntnis mit Ungläubigkeit, dann überkam ihn ein heißes Gefühl von Besitzerstolz und Macht – er hatte es geschafft, mein Gott, er war das pure Genie –, dann jedoch ein leichtes Unwohlsein (es war ein Triumph, auf den er nicht stolz war) und Angst: Was, wenn Scotty Hausmann live überhaupt nicht gut war? Was, wenn er mittelmäßig oder schlimmer war? Dagegen verordnete er sich ein Linderungsmittel in Form eines Gehirn- T : k1R weiß v mir. Bin unsichtbar.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Rebecca.
    »Ja. Warum?«
    »Du wirkst nervös.«
    »Wirklich?«
    »Du drückst meine Hand so fest«, sagte sie. Dann fügte sie hinzu und lächelte hinter ihrer Nickelbrille: »Das ist nett.«
    Als sie die Canal Street überschritten und Lower Manhattan erreicht hatten (wo die Kinderdichte jetzt die höchste im ganzen Land war), wurden Alex und Rebecca und Cara-Ann Teil eines Menschenstroms, der vom Bürgersteig quoll und die Straße überfüllte. Der Verkehr war ins Stocken geraten, und über ihnen sammelten sich die Hubschrauber und zerschlugen die Luft mit einem Geräusch, das Alex in den ersten Jahren nicht hatte ertragen können – zu laut, zu laut –, aber im Laufe der Zeit hatte er sich daran gewöhnt: der Preis der Sicherheit. An diesem Tag kam einem ihr militärisches Geschnatter seltsam angemessen vor, dachte Alex, als er sich in dem Meer von Tragetüchern und -sitzen und -gestellen voller Babys umschaute – ältere Kinder trugen die jüngeren –, denn war das hier nicht auch eine Art Armee? Eine Armee aus Kindern: fleischgewordener Glaube derjenigen, die gar nicht wussten, dass sie noch an etwas glaubten.
    Wo kindR sind, gibz zukunft, odR?
    Vor ihnen ragten die neuen Gebäude in prachtvollen Spiralen in den Himmel, viel schöner als die alten (die Alex nur von Bildern her kannte), eher Skulpturen als Gebäude, denn sie waren leer. Im Näherkommen wurde die Menge langsamer und staute sich, während die Vorderen sich um die reflektierenden Becken verteilten. Die Dichte von Polizei und Sicherheitsleuten (an ihren Regierungs-Smartpads zu erkennen) war plötzlich greifbar, hinzu kamen visuelle Scanner, die an Gesimsen, Laternenpfählen und Bäumen befestigt waren. Was hier vor mehr als zwanzig Jahren geschehen war, hatte für Alex noch immer Bedeutung, und immer, wenn er den Ground Zero erreichte, eine gewisse Präsenz. In seiner Wahrnehmung war es ein Klang gerade außerhalb der Hörweite, der Nachhall eines alten Störfalls. Jetzt kam es Alex beharrlicher vor denn je: ein tiefes dunkles Brummen, das ihm auf ursprüngliche Weise vertraut vorkam, als ob es in allen Tönen mitgeschwungen habe, die er im Laufe der Jahre erzeugt und gesammelt hatte: ihr verborgener Puls.
    Rebecca umklammerte seine Hand, ihre schlanken Finger waren feucht. »Ich liebe dich, Alex«, sagte sie.
    »Sag das nicht so. Als ob etwas Schlimmes bevorstehen würde.«
    »Ich bin nervös«, sagte sie. »Jetzt bin ich auch nervös.«
    »Das kommt von den Hubschraubern«, sagte Alex.
    »Hervorragend«, murmelte Bennie. »Warte hier, Alex, wenn es dir nichts ausmacht. Da bei dieser Tür.«
    Alex hatte Rebecca und Cara-Ann und ihre Freunde in einer Menge verlassen, die auf viele Tausend angewachsen war, und alle warteten geduldig – dann weniger geduldig –, als der Zeitpunkt, an dem das Konzert beginnen sollte, kam und ging, und sahen vier nervösen Roadies zu, die die Tribüne bewachten, auf der Scotty Hausmann spielen sollte. Nach einem T von Lulu, Bennie brauche Hilfe, hatte sich Alex in einem Spießrutenlauf aus Sicherheitschecks bis zu
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