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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman
Autoren: Jennifer Egan
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vergessen. Die Uferpromenade war fast leer. Es war Zeit, Rebecca von seinem Geschäft mit Bennie zu erzählen – jetzt, sofort! –, aber Alex war wie gelähmt, als sei ihm die Beichte bereits vergällt worden. Er verspürte den verrückten Wunsch, Rebecca anzutexten, und ertappte sich sogar dabei, wie er in Gedanken die Mitteilung formulierte: NeuR job in sicht, $$$ übRlegs dir
    »Gehen wir«, sagte Rebecca.
    Alex setzte Cara-Ann wieder in das Tragetuch, und sie stiegen die Treppe hinab in die Dunkelheit. Während sie durch die düsteren Straßen wanderten, musste Alex an den Tag denken, als er Rebecca kennengelernt hatte. Nachdem er den Handtaschendieb mit der Wolfsmaske verfolgt, aber nicht erwischt hatte, hatte Alex sie zu Bier und Burrito eingeladen, dann hatte er mit ihr Sex auf dem Dach ihres Hauses in der Avenue D gehabt, wohin sie sich vor ihren drei Mitbewohnerinnen zurückgezogen hatten. Er wusste Rebeccas Nachnamen nicht. Und in diesem Moment, ohne Vorwarnung, fiel Alex plötzlich der Name der Frau ein, die für Bennie Salazar gearbeitet hatte. Sasha. Der Name kam mühelos, wie eine Tür, die von selbst aufspringt. Sasha. Alex hielt sich den Namen sorgsam vor Augen, und richtig, schon folgten ihm die ersten Anzeichen von Erinnerung sprudelnd ans Licht: ein Hotelfoyer, ein kleines, überhitztes Apartment. Es war wie der Versuch, sich an einen Traum zu erinnern. Hatte er sie gevögelt? Alex ging davon aus – fast alle Dates damals hatten mit Sex geendet, so schwer man sich das jetzt auch von seinem gemeinsamen Bett vorstellen konnte, das nach Babyspeck roch und einem chemischen Hauch der biologisch abbaubaren Windeln. Aber Sasha wollte bei der Frage nach Sex nichts verraten, sie schien ihm zuzuzwinkern (grüne Augen?) und dann davonzugleiten.
    Das neuste Ghört? , las Alex spät eines Abends auf seinem Smartpad, als er an seiner üblichen Stelle am Fenster saß.
    ja
    Worum es ging, war, dass Bennie das Scotty-Hausmann-Konzert nach draußen verlegt hatte, zum Footprint, eine Änderung, die von Alex’ blinden Papageien (ohne mehr Geld) zusätzliche Bemühungen erfordern würde, damit alle potenziellen Konzertbesucher wüssten, wohin.
    Bennie hatte Alex schon vorher am Telefon von der Verlegung des Veranstaltungsortes erzählt. »Scotty ist nicht scharf auf geschlossene Räume. Ich glaube, er wäre im Freien glücklicher.« Es war die letzte in einer Welle von sich steigernden Forderungen und Sonderwünschen. »Er ist ein Einzelgänger.« (Damit erklärte Bennie, warum Scotty einen Wohnwagen brauchte.) »Konversation fällt ihm schwer.« (Warum Scotty keine Interviews gab.) »Er hatte noch nie viel mit Kindern am Hut.« (Warum Scotty sich von »Patscherlärm« gestört fühlen könnte.) »Er misstraut der Technik.« (Warum Scotty sich weigerte, einen Stream aufzunehmen oder die T s zu beantworten, die Fans ihm auf die von Bennie für ihn eingerichtete Website schickten.) Der Mann auf dieser Site – langhaarig, geschmeidig, mit einem breiten Porzellangrinsen und umgeben von einem bunten Bällebad – ärgerte Alex jedes Mal aufs Neue.
    Was als näxtS? lautete sein Antwort- T an Lulu. austRn?
    isst nur chinSisch
    !
    …
    Hoffe, R ist in echt nettR?
    Hb ihn nie GtroffN
    Rlich?
    = schüchtRn
    #@&*
    …
    Sie konnten endlos vor sich hin plätschern, diese Unterhaltungen, und zwischendurch behielt Alex seine blinden Papageien im Blick, er überprüfte ihre Websites und ihre Streams voll lobender Begeisterung für Scotty Hausmann und fügte die, die sich vor ihrer Pflicht drückten, seiner »Sünder«liste hinzu. Er hatte Lulu seit ihrem Treffen vor drei Wochen nicht mehr gesehen oder auch nur mit ihr gesprochen, sie war ein Mensch, der in seiner Tasche lebte und der für ihn eine ganz besondere Schwingung hatte.
    Alex schaute auf. Der Neubau verdeckte jetzt die untere Hälfte seiner Fenster, seine Balken und Metallstreben bildeten eine gezackte Silhouette, hinter der die Spitze des Empire State Building gerade noch zu sehen war. In wenigen Tagen würde sie verschwunden sein. Cara-Ann hatte sich gefürchtet, als das von Männern wimmelnde Gebilde zum ersten Mal schroff vor ihren Fenstern aufgeragt war, und Alex hatte verzweifelt versucht, aus allem ein Spiel zu machen. »Und, hui, weiter wächst das Haus«, sagte er jeden Tag, als sei dieser Fortschritt aufregend, Grund zur Hoffnung, und Cara-Ann hatte diese Vorgabe übernommen, klatschte in die Hände und forderte: »Hui! Hui!«
    + weitR wäxt das haus, textete
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