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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman
Autoren: Jennifer Egan
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Scotty Hausmanns Wohnwagen durchgeschlängelt.
    Drinnen kauerten Bennie und ein alter Roadie auf schwarzen Klappstühlen. Scotty Hausmann war nicht zu sehen. Alex’ Hals fühlte sich sehr trocken an. Bin unsichtbar, dachte er.
    »Bennie, hör mir zu«, sagte der Roadie. Seine Hände zitterten unter den Manschetten seines karierten Flanellhemdes.
    »Du kannst das«, sagte Bennie. »Vertrau mir.«
    »Hör mir zu, Bennie.«
    »Bleib bei der Tür, Alex«, sagte Bennie noch einmal, und er hatte recht – Alex hatte näher treten wollen, hatte fragen wollen, was zum Teufel Bennie sich hier einbildete: Wollte er diesen heruntergekommenen Roadie an Scotty Hausmanns Stelle auf die Bühne verfrachten? Sollte der Kerl sich gar als Scotty Hausmann ausgeben? Er hatte so eingefallene Wangen und so rote und knotige Hände, dass er aussah, als würde es ihm schon schwerfallen, eine Partie Poker zu spielen, ganz zu schweigen von dem seltsam sinnlichen Instrument, das man ihm zwischen die Knie geklemmt hatte. Aber als Alex’ Blick auf das Instrument fiel, durchfuhr es ihn plötzlich bis ins Mark: Dieser heruntergekommene Roadie war Scotty Hausmann.
    »Die Leute sind da«, sagte Bennie. »Die Sache ist im Rollen. Ich kann sie nicht mehr anhalten.«
    »Es ist zu spät. Ich bin zu alt. Ich kann – ich kann das einfach nicht.«
    Scotty Hausmann hörte sich an, als habe er eben noch geweint oder stehe kurz davor – möglicherweise beides. Sein schulterlanges, aus dem Gesicht gestrichenes Haar und die leeren, gehetzten Augen verstärkten den heruntergekommenen Eindruck, obwohl er glatt rasiert war. Alex erkannte nur seine Zähne: weiß und leuchtend – sie sahen verlegen aus, als wüssten sie, dass man so ein Gesichtswrack eben doch nicht retten konnte. Und Alex war klar, dass es keinen Scotty Hausmann gab. Er war eine Worthülse in Menschengestalt, eine Schale, deren Inhalt verschwunden war.
    »Du kannst das, Scotty – du musst«, sagte Bennie mit seiner üblichen Ruhe, aber durch sein schütter werdendes silbernes Haar entdeckte Alex Schweißtropfen auf seiner Kopfhaut. »Die Zeit will einen fertigmachen, oder? Wirst du dich etwa so rumstoßen lassen?«
    Scotty schüttelte den Kopf. »Die Zeit hat gewonnen.«
    Bennie holte tief Luft, ein kurzer Blick auf seine Uhr war das einzige Anzeichen seiner Ungeduld. »Du bist zu mir gekommen, Scotty, weißt du das noch?«, fragte er. »Vor über zwanzig Jahren – kannst du glauben, dass es so lange her ist? Du hast mir einen Fisch mitgebracht.«
    »Ja.«
    »Ich dachte, du wolltest mich umbringen.«
    »Hätt ich tun sollen«, sagte Scotty. Ein einzelner Gelächterhieb. »Wollte ich auch.«
    »Und als ich ganz unten landete – als Steph mich rausgeworfen hat und ich bei Sow’s Ear gefeuert wurde –, da habe ich dich ausfindig gemacht. Und was habe ich gesagt? Weißt du noch, als ich dich beim Angeln am East River gefunden habe? Vollkommen unerwartet? Was habe ich gesagt?« Scotty murmelte etwas vor sich hin.
    »Ich habe gesagt: ›Wird Zeit, dass du zum Star wirst.‹ Und was hast du zu mir gesagt?« Bennie beugte sich dicht zu Scotty hin, nahm die zitternden Handgelenke des Mannes in seine eigenen ziemlich eleganten Hände und schaute ihm ins Gesicht. »Du hast gesagt: ›Wetten, dass?‹«
    Ein langes Schweigen folgte. Dann sprang Scotty ohne Vorwarnung auf die Füße und warf seinen Stuhl um, als er zur Tür des Wohnwagens stürzte. Alex wollte beiseitetreten und ihn durchlassen, aber Scotty war schneller und versuchte, ihn aus dem Weg zu stoßen, und Alex begriff, dass es seine Aufgabe war – und der einzige Grund, warum Bennie ihn hier postiert hatte –, die Tür zu blockieren und den Sänger an der Flucht zu hindern. Sie rangen in keuchendem Schweigen miteinander. Scottys vertrocknetes Gesicht war so dicht vor seinem, dass Alex der Atem des Typen in die Nase stieg. Er roch nach Bier oder den Nachwirkungen von Bier. Dann korrigierte Alex seinen Eindruck: Nach Jägermeister.
    Bennie packte Scotty von hinten, aber er griff nicht richtig zu – Alex merkte es daran, dass Scotty es schaffte, sich aufzubäumen und ihm den Kopf in den Solarplexus zu rammen. Alex keuchte auf und krümmte sich zusammen. Er hörte, wie Bennie tuschelnd auf Scotty einredete, als wolle er ein Pferd beruhigen.
    Als er wieder zu Atem gekommen war, machte Alex den Versuch, sich mit seinem Boss zu beraten. »Bennie, wenn er das nicht will …«
    Scotty zielte auf Alex’ Gesicht, aber Alex wich zur Seite aus, und
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