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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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raffinierten Fragen haben die Inquisitoren die erwünschten Antworten erzwungen. Wer nicht gestand, wurde gefoltert. Und wer gefoltert wurde, bekannte sich in seiner Todesangst für schuldig. Schuldig, die Sakramente missachtet, das Kreuz angespuckt und Christus verleugnet zu haben. Schuldig, während der Einweihungsriten unsittliche, homosexuelle Akte vollzogen zu haben. Schuldig, ein Häretiker zu sein, der ein Götzenbild an-betet.«
    »Den mysteriösen Baphomet.«
    »Genau. Das Urteil über die Ritter Christi stand von Anfang an fest. Der Inquisitionsprozess und die reumütigen Geständnisse der Templer unter der Folter dienten nur der Rechtfertigung eines unrechtmäßigen Vorgehens gegen den Orden, über dessen Schicksal der französische König bereits vor der Anklage bei der Inquisition entschieden hatte. Der Prozess war eine infame politische Intrige. König Philippe hatte dem Papst gedroht, ihn als Häretiker absetzen und exkommunizieren zu lassen, falls er den Templerorden schützte.«
    »Die Gotteskrieger waren also die Opfer eines erbitterten Machtkampfes zwischen dem König und dem Papst um die Vorherrschaft in der Kirche. Und um den geheimnisvollen Schatz der Templer.«
    »Scheint so«, gab ich zu. »Allerdings frage ich mich, wie jener 13. Oktober 1307 angeblich so unerwartet zum Schicksalstag der Templer werden konnte. Der letzte Großmeister Jacques de Molay kannte doch die Pläne des französischen Königs, den Templerorden mit dem Johanniterorden zu vereinigen, um anschließend sich selbst zum Großmeister des schlagkräftigsten und reichsten Kreuzritterordens aller Zeiten zu machen – mit einem gewaltigen Heer, einer mächtigen Flotte und der größten Bank des Abendlandes, die seine Geldsorgen beseitigen würde. Die Geheimagenten des Großmeisters verkehrten an Philippes Hof – wie konnte ihnen eine derartig aufwendige Aktion wie die Erstürmung aller Templerkomtureien Frankreichs am 13. Oktober 1307 entgangen sein? Das ist unbegreiflich.«
    »In der Tat!«
    »Es gibt nur eine schlüssige Antwort: Jacques de Molay wusste von dieser Razzia. Denn im Tempel von Paris wurde – abgesehen von einem silbernen Reliquienschrein mit einem gold- und perlenverzierten Schädel, dem geheimnisumwitterten Baphomet – nur diese Lade aus Akazienholz, ein langer aramäischer Papyrus und ein Bericht über das Reich des legendären Priesterkönigs Johannes gefunden. Aber kein Templerschatz.«
    Der Papst musterte mich aufmerksam. »Mia cara, Ihr habt doch nicht etwa herausgefunden, wohin der Schatz verschwunden ist?«, scherzte er, und als ich nicht antwortete, verging ihm das Schmunzeln. »Oder doch?«
    Ich lächelte geheimnisvoll und schwieg.
    »Alessandra!«, ermahnte er mich mit erhobenem Finger.
    »Einen Augenblick Geduld, Euer Heiligkeit!«
    Seufzend lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme. »Also schön. Und weiter?«
    »Der Assassino hat das Urteil meines Vaters über die Templer gelesen. Doch weder Lucas Anmerkungen noch die Inquisitionsprotokolle haben ihm die Frage beantwortet, die sein Großmeister als so wichtig für das Schicksal des Christentums erachtete, dass dieser seinen Ordensritter nicht nur, wie ich vermute, nach Valencia, Avignon und Paris entsandte …« Ich machte eine dramatische Pause, um dem Papst Gelegenheit zu geben, das ganze Ausmaß der Geschehnisse zu erfassen. »… sondern ihm schließlich sogar befahl, ins Geheimarchiv des Vatikans einzubrechen.«
    »Der Großmeister?«, fragte er verwirrt. »Alessandra, Ihr wisst, wer den Assassino geschickt hat?«
    »Ja, Euer Heiligkeit.«
    Ausführlich berichtete ich ihm von meinen Nachforschungen über die Erben der Templer und ihre Suche nach dem mysteriösen Priesterkönig Johannes. Um 1165 hatte jener Priesterkönig eine Botschaft an den byzantinischen Kaiser und den Papst gesandt, worin er gelobte, die christlichen Stätten im Heiligen Land mit seiner Furcht erregenden Streitmacht zu schützen und die Muslime zu vernichten. Mit seinem Brief entfachte er eine Hoffnung, die die Jahrhunderte überdauert hat – obwohl der Priesterkönig seinen heiligen Schwur nie gehalten hat. Der Siegeszug der Muslime, die damals das Heilige Land eroberten, war unaufhaltsam. »Nachdem ich den Brief des Priesterkönigs gelesen habe, glaube ich, dass sein Reich nicht in Asien liegt, wo es jahrhundertelang gesucht wurde, sondern in Afrika, südlich von Ägypten.«
    Der Papst zog die Landkarte auf dem Tisch zu sich heran und legte die Hand mit dem
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