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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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päpstlichen Katers.« Der Papst blickte versonnen lächelnd auf Monsignor Fantìn. »Mia cara, wisst Ihr, dass Ihr um diesen alles überragenden Status beneidet werdet? Erst vorgestern zerfetzte Monsignor Fantìn während einer Audienz die Purpursoutane von Kardinal Borgia …«
    Beim wohligen Räkeln auf meinem Schoß hatte der kapriziöse Kater die raschelnde Papiertüte in der Tasche meines Kleides entdeckt. Ich trug immer etwas Florentiner Marzipankonfekt bei mir, die Sorte mit den gezuckerten Mandeln, die nach Orangenlikör duftete und die Niketas so geliebt hatte. Ich bot die zerknitterte Tüte dem Papst dar, der jedoch lächelnd abwinkte, weil er das österliche Fasten hielt. Dann stibitzte ich ein Stück Konfekt und gab es dem auf meinem Schoß umhertapsenden und ungeduldig nach der Papiertüte haschenden Monsignor Fantìn, der sich zufrieden maunzend wieder zusammenrollte.
    Ganz in mein schmerzliches Andenken an Niketas versunken, streichelte ich sein weiches Fell, bis der Kater wohlig schnurrte.
    Stumm beobachtete mich Eugenius. Schließlich beugte er sich vor und legte tröstend seine Hand auf die meine. Er kannte meine Liebe zu Niketas und wusste, wie einsam ich war.
    Ich entrang mir ein mattes Lächeln, ergriff seine zitternde Hand und drückte sie. »Danke.«
    »Schon gut«, winkte er ab. »Was habt Ihr und Euer Freund denn nun herausgefunden?«
    »Einige der Truhen, die seit Eurer Rückkehr aus dem Exil in Florenz noch nicht ausgepackt worden sind, standen in jener Nacht offen. Die Pergamente und Folianten, die Ihr auf meinem Arbeitstisch ausgebreitet seht, lagen verstreut auf dem Boden. Leonardo hat seinen Mörder überrascht, als der Lucas Anmerkungen zu den Templerprozessen las. Und sein Urteil.«
    Der Papst nickte langsam.
    »Heiliger Vater, was wisst Ihr über die Templer?«
    Er hob beide Hände. »Abgesehen von der düsteren Legende, die sich um den Fluch des letzten Großmeisters auf dem brennenden Scheiterhaufen rankt? Nicht viel.«
    »Dann werde ich Euch berichten, damit Ihr versteht, was in jener Mordnacht geschehen ist.«
    »Ich bitte darum.«
    »Also gut. Jerusalem wurde, wie Ihr sicherlich wisst, 1099 während des ersten Kreuzzugs erobert«, begann ich zu erzählen. »Die Al-Aqsa war damals als ›Templum Salomonis‹ bekannt – daher der Ordensname der Templer: Arme Ritterschaft Christi vom Tempel Salomos. Seit der Gründung des Ordens zwei Jahrzehnte später durch Hugues de Payns, den ersten Großmeister, wohnten die Mönchsritter im alten Königspalast neben der Al-Aqsa-Moschee, die sie als Kirche weihten. 1165 lebten schon vierhundert Ritter mit ihrem umfangreichen Gefolge in ihrem Kloster auf dem Tempelberg.
    Heiliger Vater, wusstet Ihr, dass das Templerkreuz aus dem achteckigen Grundriss des Felsendoms gebildet wurde? Luca hat es mir vor Jahren gezeigt, als wir gemeinsam hier im Vatikan alte Handschriften kopierten.«
    Monsignor Fantìn sprang von meinem Schoß auf den Seiner Heiligkeit, als ich mich erhob und über meinen Schreibtisch beugte. Unter einem Stapel Bücher zog ich ein unbeschriebenes Pergament hervor und skizzierte mit kratzender Feder den Grundriss. »Seht Ihr? Wenn Ihr die gegenüberliegenden Ecken des Felsendoms, der damals ›Templum Domini‹ genannt wurde, durch Linien verbindet, erhaltet Ihr das Schema eines Kreuzes mit Serifen. Eines Templerkreuzes.«
    Papst Eugenius runzelte die Stirn, als ich das Pergament derart ungestüm auf den Schreibtisch warf, dass durch den Luftzug die Feder aus dem Tintenfass kippte. Ahnte er, worauf dieser Disput letztlich hinauslief? O ja! Er kannte mich, seit ich ein kleines Kind war, und wusste, dass ich erneut vor meinen Gefühlen fliehen würde. Wie vor drei Jahren, als ich nach Konstantinopolis aufbrach, um mich nach all den Jahren mit dem byzantinischen Kaiser zu versöhnen. Obwohl mir Ioannis, der mit mir um seinen Bruder trauerte, am Ende vergeben hat, dass ich ihm Niketas wegnahm, konnten seine tröstenden Worte meinen Schmerz nicht lindern und mir meine Seelenruhe nicht wiedergeben. Denn die Flucht vor den eigenen Gefühlen, vor Traurigkeit und Einsamkeit, ist, wie ich aus leidvoller Erfahrung weiß, ein sinnloses Unterfangen – in Byzanz wie in Jerusalem …
    Ich besann mich.
    »Die Templer waren einst die mächtigste Organisation der Welt. Der Reichtum des Ordens, der nur dem Papst Gehorsam schuldete, war legendär. Die ›armen Brüder Christi‹ waren nicht so arm, wie sie in ihren Mönchsgelübden gelobt hatten, sie
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