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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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den Füßen und trete ein.
    Die kleine Moschee wird von einer Handvoll Öllampen erleuchtet. In der Mitte des Gebetsraums befindet sich die marmorne Wiege, in die der Legende zufolge Maryam den kleinen Issa legte. Issa ibn Maryam, der von Allah Geliebte, ist nach muslimischem Glauben der letzte Prophet vor Mohammed, dem ›Siegel der Propheten‹.
    Tayeb kniet sich auf den Boden und holt die Pechfackeln und die Seile aus der Tasche. Wortlos reicht er mir mein Notizbuch.
    Ich halte die Pergamentseiten ins Licht und blättere durch meine Anmerkungen zum Mord an Leonardo und meine Vermutungen zu jenem geheimnisvollen Assassino, die ich noch in Rom verfasst habe. Dann betrachte ich die Seiten mit den Skizzen des Labyrinths unterhalb der Al-Aqsa. »Was hältst du davon, wenn wir das Buch hierlassen?«
    »Er wird es finden und mitnehmen«, gibt Tayeb zu bedenken.
    »Na hoffentlich! Dann wissen wir immer, wo er ist. Drei Schritte hinter uns.« Verschmitzt lächelnd zeige ich ihm meine Notizen, die ich seit unserer Ankunft in Jerusalem in Tifinagh niedergeschrieben habe. Tifinagh ist die Schrift der Tuareg, die Tayeb mich vor einigen Jahren lehrte, als wir uns gemeinsam auf die geplante Reise nach Timbuktu vorbereiteten.
    ›Salz kommt aus dem Norden, Gold aus dem Süden, aber das Wort Gottes und die Schätze der Weisheit sind nur in Timbuktu zu finden‹, lautet ein Sprichwort der Tuareg.
    Ich bin überzeugt, dass es einen Teil der Handschriften der Bibliothek von Alexandria noch gibt. Als Abschriften in arabischer Übersetzung. In den Bibliotheken von Timbuktu. Mein Vater hatte versucht, jenen geheimnisumwitterten Ort im Herzen der Sahara zu erreichen, um dort Bücher zu kopieren und nach Florenz zurückzubringen, und war gescheitert. Tayeb, der Gelehrte aus Agadez, der an der Universität von Timbuktu den Koran studiert hatte, hatte Luca das Leben gerettet und vor acht Jahren zurück nach Italien begleitet.
    Eines Tages will ich die gefährliche Reise nach Timbuktu wagen, die Papyri und Pergamente der antiken Bibliotheca Alexandrina kopieren und die Abschriften durch mein florierendes Scriptorium in Florenz an Gelehrte in Venedig, Rom und Byzanz verkaufen. Und natürlich an Papst Eugenius für seine geplante vatikanische Bibliothek.
    »Der Assassino wird die Schrift aus Punkten, Linien, Kreuzen und Kreisen für einen Geheimcode halten. Und das Templerkreuz, das ich mit roter Tinte neben die Skizze des Felsendoms gezeichnet habe, wird ihn verwirren.«
    Ich werfe meine Notizen zurück in die leere Tasche. Tayeb verbirgt sie in einer Nische. Dann entzünden wir die Fackeln, legen uns die Seile um und verlassen die Moschee.
    Breite Stufen, deren Ende der Schein der Fackeln nicht erreicht, führen hinunter in die Ställe Salomos. Die Tempelritter hatten dieses ausgedehnte Gewölbe unterhalb der Al-Aqsa als Pferdestall genutzt. Ich weise auf das Tempelportal in der Südwand, das Sultan Salah ad-Din zumauern ließ. »Durch dieses Tor sind in der Antike die Gläubigen in den Tempel geströmt.«
    »In den Vorhof, wo Jesus die Tische der Geldwechsler und Taubenverkäufer umstieß?« Tayeb mustert die mächtigen Pfeiler der zwölfschiffigen Halle.
    Ich nicke. »Herodes hat das Tempelplateau über den Felsen Morija hinaus bis zur zehn Ellen dicken Südmauer erweitert und es mit diesen gewaltigen Tonnengewölben um zwanzig Ellen angehoben. Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer und der Vertreibung der Juden aus Jerusalem hat Hadrian einen Jupiter-Tempel über den Ruinen errichten lassen. Ein Symbol römischer Staatsmacht. Die Al-Aqsa wurde später auf den Fundamenten des römischen Tempels errichtet. Und der Felsendom steht auf den Ruinen des jüdischen Tempels. Wenn wir die Gänge im Tempelberg erforschen, werden wir vielleicht das Allerheiligste finden.«
    Tayeb lacht vergnügt, obwohl er nicht ernsthaft daran glaubt, dass wir im Labyrinth irgendetwas finden werden – weder die verschollene Tempelbibliothek mit Tonkrügen voller antiker Schriftrollen noch einen Hinweis darauf, was die Tempelritter hier unten gesucht und gefunden haben: Gold, Papyri oder die seit zwei Jahrtausenden verlorene Bundeslade? Der Heilige Gral kann es nicht gewesen sein, denn die Tempelritter bewachten ihn ja nicht nur in der dichterischen Fantasie des Wolfram von Eschenbach, sondern, wie ich in Rom herausgefunden habe, tatsächlich in der Gralsburg San Juan de la Peña in Aragón.
    Hatte der aramäische Papyrus die Gotteskrieger veranlasst, in
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