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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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wenn Ihr Euch in Lebensgefahr begebt?«, erregte er sich – er hatte Angst um mich. »Alessandra, kommt zur Besinnung! Leonardo wollte Euch warnen, als er das Templerkreuz mit seinem Blut gemalt hat!«
    »Leonardo war mein Freund, dessen Tod ich nicht ungesühnt lassen kann. Ich werde seinen Mörder finden.« Und mit einem satanischen Lächeln fügte ich hinzu: »Oder er mich. Und dann gnade ihm Gott!«

    »In den letzten beiden Nächten ist uns der Assassino zum Tempelberg gefolgt«, reißt Tayeb mich aus meinen Erinnerungen. »In der Nacht davor hat er im Funduk unser Gepäck durchwühlt. Glaubst du, er hat den Brief des Papstes an den Patriarchen von Jerusalem gefunden? Oder das päpstliche Breve?«
    Ist er hier?, frage ich mich beunruhigt und beobachte die von den Sturmböen bewegten Schatten des Haram ash-Sharif. Der weiße Schimmer dort drüben zwischen den Eukalyptusbäumen – ist das die von den unablässigen Blitzen erleuchtete Fassade des alten Königspalastes neben der Al-Aqsa, des Hauptquartiers der Tempelritter? Oder ein im Wind flatternder weißer Habit mit rotem Templerkreuz?
    »Du solltest morgen um eine Audienz beim Patriarchen nachsuchen und ihm den Brief des Papstes geben«, rät Tayeb ernst. Ich spüre seine Anspannung. »Eugenius bittet ihn, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um dein Leben zu schützen. Joachim ist ein entschiedener Gegner der Kirchenunion von Florenz. Er hat Niketas exkommuniziert und verdammt, weil er als Metropolit von Athen das Unionsdekret unterzeichnet und damit seinen orthodoxen Glauben verraten hat. Ich habe den Brief gelesen, in dem der Patriarch Niketas’ Tod als gerechte Strafe Gottes bezeichnet, und ich weiß, wie verletzt du warst. Der Kaiser von Byzanz hat ihn zur Mäßigung ermahnt – und das trotz eures erbitterten Wortgefechts in Florenz, als Ioannis dich aufforderte, Niketas der Kirche zurückzugeben. Und doch: Wenn Papst Eugenius es wünscht, wird er dir ein paar Bewaffnete zur Verfügung stellen.«
    Ich weise auf die hell erleuchtete Zitadelle auf der anderen Seite der Stadt. »Wie, glaubst du, wird der Vizekönig von Damaskus reagieren, wenn er erfährt, dass ich während der Osterfeiertage mit einer Schar christlicher Bewaffneter den Tempelberg stürme? Die Entweihung der Al-Aqsa wird er Yared al-Gharnati melden, dem Vertrauten des Sultans, der vor ein paar Tagen mit seinem Gefolge nach Jerusalem gekommen ist. Und dann sei Allah uns gnädig! Gewiss wird er sich an unsere Namen erinnern. Nachdem wir vor sechs Jahren das Evangelium fanden, wandte sich der Patriarch von Alexandria mit einem Brief des Papstes an Yared, um uns das Todesurteil zu ersparen.« Ich atme tief durch. »Nein, Tayeb, vor dem Patriarchen von Jerusalem werde ich gewiss nicht zu Kreuze kriechen!«
    Tayeb seufzt. »Wie du willst.«
    »Y’allah – lass uns gehen. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Im Morgengrauen wird der Muezzin der Al-Aqsa die Muslime zum Gebet rufen, während sich die Juden, die in diesen Tagen Pessach feiern, an der Klagemauer versammeln, um das Schma Israel zu beten. Die Christen werden an diesem Tag ein schweres Holzkreuz durch die Via Dolorosa tragen. Denn dieser 26. März 1445 ist ein Karfreitag.
    »Bism’Allah.« Tayeb schultert die Tasche mit unserer Ausrüstung und wirft einen letzten Blick hinab zur Klagemauer.
    Mit der Hand am Griff des Schwertes folgt er mir zur Al-Aqsa. Vor dem Hauptportal der Moschee führt eine schmale Treppe hinunter in die gewaltigen Gewölbe. In der letzten Nacht haben Tayeb und ich das Labyrinth unterhalb der Al-Aqsa erforscht. Einige der Gänge hatten die Tempelritter vermutlich auf der Suche nach dem Schatz Salomos gegraben.
    Wenig später haben wir den Einstieg zu den Ställen Salomos an der Südostecke der Tempelplattform erreicht.
    Beunruhigt beobachte ich das Gewitter, das jenseits des Ölbergs über dem Toten Meer tobt. Unablässig zucken Blitze durch den Himmel. Im Osten, wo der Himmel im Wetterleuchten silbrig schimmert, regnet es schon in Strömen. Und wenn der Sturm, der ungestüm an meinem Gewand zerrt, das Gewitter nach Jerusalem treibt? Wenn der niederprasselnde Regen den Tempelplatz überschwemmt und durch die Kanäle in die unterirdischen Zisternen rauscht, während Tayeb und ich durch das Labyrinth der Gänge kriechen?
    Nach einem letzten besorgten Blick nach Osten folge ich meinem Freund über eine gewundene Treppe hinunter in die Kammer, die ›Wiege Jesu‹ genannt wird. An der Tür streife ich die Sandalen von
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