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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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das können wir im Vorfeld nicht wissen.«
    »Schachmatt«, sagt der Opium-Khan barsch. »Es spielt kaum eine Rolle. Die Zeit arbeitet für mich.«
    Polly Cradles Gelächter erklingt klar und ohne Angst. »Nicht mal im Ansatz tut sie das«, sagt sie. Sie tritt durch die Reihen der Bestatter, um ihrem Geliebten die Hand auf die Schulter zu legen. »Es ist so weit, Joe. Es ist okay. Tu, was du tun musst.«
    Joe Spork hat gekämpft und heute Nacht wohl auch schon getötet. Es ist nicht unmöglich, dass bei der Explosion des Lovelace Menschen zu Tode gekommen sind, denen man vielleicht wieder zu ihrem alten Selbst hätte verhelfen können. Er hat im Kampf Verletzungen verursacht, die sich als tödlich herausstellen können. Aber trotz alledem ist er niemals ein Killer gewesen, kein Henker und kein Attentäter. Doch nun steht er hier, dies ist sein Leben, und wenn er auch nur mit der Wimper zuckt oder zögert, geht die Welt unter. Er blickt zum Opium-Khan hinüber und erkennt, dass dieser bereits weiß, was er sagen wird. Er sagt es trotzdem mit einem Gefühl wachsender Gewissheit, das nicht von außen kommt, nicht vom Anschauungsapparat oder den Bienen, sondern aus ihm selbst. Mit Polly an seiner Seite fällt diese Wahl leicht. Er heftet seinen Blick auf Shem Shem Tsien.
    »Sie haben mir mein Zuhause genommen und meine Freunde umgebracht. Sie haben mich zweimal zu Tode gefoltert und wiederbelebt. Sie haben meine Großmutter gejagt.
    Sie haben versucht, Polly umzubringen, um mir zu trotzen.
    Sie zerstören Dinge, die wunderschön sind, weil es Ihnen gefällt.«
    Der Opium-Khan öffnet den Mund, um etwas zu erwidern.
    Die Tommy Gun lodert flammend auf.
    Crazy Joe Spork hat den Finger am Abzug und reitet den Donnerhall. Seine Schultern drücken die Gangsterwaffe nieder, und seine Brust arbeitet hart daran, dass sie auf ihr Ziel gerichtet bleibt. Er fegt sie vor und zurück über die Stelle, an der eben noch Shem Shem Tsien gestanden hat. Er fühlt, wie ihn etwas an der Wange sticht, wie etwas an seinem Mantel zerrt, und ihm wird klar, dass es sich um Kugeln handelt, aber es ist ihm egal. Er feuert, bis das Magazin leer ist, lässt der Kanone des Gangsters ihren Willen und versucht, den Feind auszuradieren. Als die Waffe nur noch leer klickt, tritt er durch die Pulverdampfwolke, um, wenn nötig, noch den Kolben zu benutzen, um die Sache abzuschließen. An seinem Hemd ist Blut, und sein Ohr ist eingerissen und brennt. Er ist angeschossen worden. Ein dumpfer Schmerz zieht sich über sein Gesicht, und ein Arm tut ihm weh.
    Angeschossen, aber nicht getötet.
    Durch den Rauch sieht er, wie sich Shem Shem Tsiens Gesicht in einer Grimasse äußerster Verachtung verzieht – ein Hohn, der scharf abgeschnitten wird, als sich Bastion Banister voranschiebt, um ihm eine Antwort direkt ins Gesicht zu knurren. Joe kann die Verwirrung des Opium-Khans sehen und in sich selbst spüren. Wie kann ein zwanzig Zentimeter großer Boxer Auge in Auge mit einem Gott stehen? Ein lächerlicher Scherz in letzter Sekunde? Ein Hund auf Stelzen? Ein Kunstgriff mit Schnüren?
    Shem Shem Tsiens Kopf ist einen Meter oder mehr hinter seinem Körper aufgeschlagen. Die Kugeln der Tommy Gun haben seinen Hals durchtrennt wie ein Schwert.
    Das Begreifen stellt sich ein, ob durch den Anschauungsapparat oder durch sein nachlassendes Augenlicht, oder weil er das Gestein unter seinem verwüsteten Fleisch spürt. Shem Shem Tsiens Augen weiten sich in unsagbarem Entsetzen. Sein Mund öffnet sich, als wolle er sprechen.
    Und dann ist es erledigt.
    Joe Spork wartet einen Augenblick, um sicherzugehen, dass sein Feind tot ist, und marschiert am abgetrennten Kopf des Opium-Khans vorbei auf die Maschine zu, die die Welt verschlingen wird.
    Der Bienenkorb knurrt und stottert, und schwarze Kabel surren von dem Strom, der aus den geschmeidigen organischen Umrissen bricht. Die Bienen sind in der Luft, aber sie bilden in dichten Spiralen ein immer perfekteres Muster. Immer weniger sehen sie wie Bienen aus und immer mehr wie sich drehende Zahnräder, von denen das eine ins andere greift. Joe fragt sich, wie viel Zeit ihm noch bleibt.
    Es ist beinahe vorbei. Zwei Minuten. Vielleicht weniger.
    Er bewegt sich auf den Anschauungsapparat zu wie durch eine Flutwelle, die an ihm reißt, ihn hin und her schleudert, bis er plötzlich zum Auge des Sturms vorgestoßen ist. Der Schleier der Gewissheit ist fort, die Auswirkung der Maschine ist, so dicht bei ihr, nicht spürbar. Kurz geht ihm
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