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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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orange, und die Welt besteht nur noch aus Lärm.
    Wenn er geglaubt hat, das Durchbrechen der Mauer sei laut gewesen, so kennt er erst jetzt die Bedeutung des Wortes. Schutt zischt pfeifend und surrend über ihn hinweg. Ein Teil eines Rades gräbt sich in eine Statue. Joe liegt auf dem Rücken, lacht und kann sich selbst nicht hören. Dann rappelt er sich auf und wirft einen Blick zurück auf den Schauplatz der Explosion.
    Ein gähnender schwarzer Krater dampft und raucht und ist übersät mit Körpern. Keiner von ihnen gibt einen Laut von sich.
    Joe schluckt seine Schuldgefühle hinunter und spürt stattdessen eine Welle des Stolzes, eine Schlachtfeld-Befriedigung, die er in seiner Brust anschwellen lässt.
    Er legt sich die Tommy Gun über den Rücken, versammelt seine Truppen um sich und erteilt Anweisungen. Das Rollkommando schält die toten Maschinen aus ihren Roben, und dann bewegen sich alle vorwärts über das Gelände, hinein ins Haus.
    Ohne Zweifel ist dies einmal ein schönes altes Herrenhaus gewesen mit Marmorböden und Säulen, mit hohen Fenstern und einladenden, pompösen Suiten.
    Das ist vorbei. Nun ist es nur noch eine Hülle, von der etwas anderes Besitz ergriffen hat, wie einer dieser unheimlichen Meereswürmer, die im Fleisch der Krabben wachsen und sie schließlich von innen verschlingen.
    Von der Glaskuppel des Turmes angefangen bis ganz hinunter ist Sharrow House ausgeweidet worden. Wände wurden durchbrochen, um Platz zu schaffen wie in einer Kathedrale. Hier und da hat man einige Stützpfeiler stehen gelassen, die das Gewicht von starken Stahlbalken tragen. Schwarze Kabel verlaufen wie Schlingpflanzen entlang der Wände, die vom Ballsaal übrig geblieben sind. Die handgemalten Fresken wurden durchbohrt, die Statuen verstümmelt und beiseitegeschoben. Obwohl er noch den Geschmack des feurigen Endes des Lovelace in seinem Mund spürt, kann Joe hier das schwere Gummiaroma von heißem Elektroisolierband ausmachen, wie ein Balken, der sich hinten über seine Zunge legt. Inmitten des Fußbodens führt ein klaffendes Loch tief und tiefer in die Erde hinab.
    Natürlich. Alles muss so sein, wie es war. Der Opium-Khan ist in einem Kampf des letzten Jahrhunderts stecken geblieben, spielt seinen Sieg über Edie Banister und ihre Geliebte, über Abel Jasmine und Ted Sholt aus, über sie alle. Es ist ganz unwichtig, dass sie alle tot sind. Wichtig ist nur, dass er siegt und sich selbst dabei zusieht.
    Aus dem Abgrund ertönt ein Geräusch wie ein Atmen, und im selben Moment, in dem er sich dessen bewusst wird, hört Joe von weit oben, irgendwo in der Ferne, das tiefe, fremdartige Brummen von hunderttausenden Flügeln.
    Die Bienen kommen.
    Der Pfad zur Grube wird gesäumt von Rohren und elektronischer Ausrüstung; Shem Shem Tsiens Version von Frankies Maschinerie fehlt deren Ökonomie, ihr Sinn fürs Menschliche. Statt auf Bienenkörbe und Symbole zurückzugreifen, bietet sich hier grobe industrielle Technologie dar, mit der man Raketen abfeuern und Nationen auslöschen kann. Zweckdienlich, ohne Herz.
    Sie folgen der Spur, tiefer ins Innere von Sharrow House, wo der klaffende Schlund in den alten Steinboden hineingeschlagen oder aus ihm herausgerissen wurde, sodass die Krypten und Keller sich zu den darüber liegenden Räumen öffnen. Von hier aus geht es noch einmal mindestens so tief hinunter, wie es zur Turmspitze über ihnen hinaufgeht; schwindelerregende sechzig Meter. Hinab gelangt man über eine provisorische Treppe, die von einem Gerüst aus Tragbalken und Seilen gebildet wird. Die Verkabelung windet sich darum herum oder hängt in einem Vorhang aus dicken Reben an ihr herunter.
    Joe Spork späht hinab. Unter den Reben kann er Vogelscheuchen erkennen. Oder … nein. Nein, natürlich keine Vogelscheuchen. Nicht bei Shem Shem Tsien. Keine fröhlichen rübenköpfigen Figuren in mit Stroh ausgestopften Pyjamas. Echte Menschen. Hausmeister, Sicherheitsleute und Labortechniker, aufgehängt wie Wäsche auf der Leine. Sie sind noch nicht lange tot; weniger als einen Tag. Vielleicht hat er sie als Botenjungen ausersehen, mit denen er sich bei Gott schon einmal ankündigt: Visitenkarten, bevor er an die Tür klopft. Vielleicht waren sie ihm auch einfach nur im Weg. Oder es gab überhaupt keinen Grund. Edie Banister zufolge hat der Opium-Khan niemals Gründe gebraucht. Er hat getan, was ihm gefallen hat, und sehr oft ist das Ergebnis blutig und bösartig gewesen.
    Joe spürt, wie sein Gesicht zur wutverzerrten
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