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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Komposit des Schreckens; endlose Stunden des Lebens von Shem Shem Tsien, verwoben in einem Muster von Folter und Tod, von Theologie, Raserei und Hass.
    In wachsender Unruhe huschen sie umeinander herum. Das Geräusch ist entweder viel lauter geworden oder sehr viel näher gekommen. Der Boden bebt. Andere Ruskiniten tauchen als wimmelnder Mob aus Sharrow House auf und erwarten den Ausbruch der Gewalt. Auch wenn jeder von einem anderen Ausschnitt von Shem Shem Tsiens Geist angetrieben wird, so haben sie doch alle etwas gemeinsam, und das ist die Mordlust ihres Stammvaters.
    Und dann, zu dieser vorbestimmten Stunde, äußert Queen Tosh ihre Verärgerung: Mit einer gewaltigen, brodelnden Detonation explodiert der Burggraben.
    Grünes Wasser wird weiß und bäumt sich auf. Es kocht, zerfällt in Blasen und schießt dann hinauf in die Höhe wie ein Atompilz und kommt dann in Tropfen von Umzugskistengröße herniedergeprasselt. Einzelne Ruskiniten werden davon zu Boden gerissen und platt gewalzt, zerbrechen oder sterben. Hässliche Fische mit spitzen Zähnen, verblüfft und halb zerfetzt, fallen wie Regen zur Erde. Für einen Augenblick ist alles Nebel und Schaum. Dann lässt der Druck nach, und der Geysir verschwindet, während das verbliebene Wasser in den Abläufen versickert.
    Der Ruskiniten-Schwarm starrt in die leere Grube hinunter. Unerwartet. Unerwartete Dinge sind schlecht. Nicht gern gesehen. Aber es gibt nichts, gegen das man in den Kampf ziehen könnte, also starren sie das fehlende Wasser an und hinaus auf das, was auch immer kommen mag, und warten ab.
    Zwanzig Sekunden vor dem Einschlag und mit dem Regler in beiden Händen, sieht Joe Spork, wie die Außenmauer von Sharrow House näher und näher kommt, und ihm wird klar, dass er zum ersten Mal in seinem erwachsenen Leben nicht vor einem Showdown zurückschreckt. In einem Herzschlag, einem halben Herzschlag, wird dieser Zug es mit der Mauer aufnehmen. Das Geschick der Ruskiniten einer vergangenen Zeit – Ted Sholts Ruskiniten, nicht der derzeitigen Scheißkerle – wird sich gegen die unwandelbaren physikalischen Gesetze der Kollision stellen. Der Schienenräumer wird standhalten oder eben nicht. Wenn der gewaltige Dampfzylinder an der Spitze des Zuges den Aufprall nicht überlebt, wird die Explosion gewaltig sein – doch dies wird für einen Mann, der im Führerstand der Lok steht, keine Rolle mehr spielen. Jede Art von Explosion wird ihn sowieso das Leben kosten.
    In seiner Brust, einem goldenen Kessel reiner Erregung, brodelt es. Er grinst Polly Cradle an, sieht ihr Lächeln der Erwartung und reine Freude.
    Zur Hölle – ja!
    Die Mauer vor ihnen ist riesig und scheint sich vorzubeugen, als wolle sie den Lovelace packen wie eine Faust im Handschuh …
    Aufprall.
    Vom Donner erzeugte Stille.
    Ein Moment absoluter Bewegungslosigkeit, der kürzeste Zeitabschnitt, der vom Menschen überhaupt noch wahrgenommen werden kann.
    Joe wird gegen die Wand des Führerstandes geschleudert und ist fest davon überzeugt, zerquetscht zu werden. Er kann den Boden sehen, dann den Himmel. Der Zug wird umstürzen und dann explodieren. Er kann unmöglich überleben. Er stellt fest, dass er nichts zu bereuen hat, vielleicht hat er aber auch nur nicht genug Zeit, um darüber nachzudenken.
    Doch der Erbauer des Lovelace wusste, worauf es bei seiner Schöpfung ankam: Sein Auftrag bestand nicht nur darin, ein Laboratorium oder eine Chiffrierstation auf Rädern zu bauen. Dieser Zug ist ein Gefährt des Krieges, das den entsetzlichen Gewalten und Windungen der Schlacht trotzen muss. Es würde ohne seinen Lokführer nicht funktionieren, und so musste dieser entsprechend abgeschirmt werden.
    Der Lovelace durchbricht die Mauer, versprengt Beton und Backstein und Mörtel. Die Waggons knallen ineinander, sodass sich ihre miteinander verbundene kinetische Energie über die Länge des Zuges in einem großen Ruck nach vorn hin überträgt. Das schwarze Eisen ist dick und solide, und der Druck des Aufpralls schlägt durch ineinander verkeilte Puffer und Stützen zurück und wird als Hitze und ohrenbetäubender Krach abgegeben. Nieten zerspringen und Platten zerbersten. Die Maschine kreischt auf. Der gewaltige Drucktank schluchzt und stöhnt.
    Aber er hält es aus.
    Natürlich hält er es aus. Genau dafür wurde er erschaffen.
    Ebenso wie ich .
    Joe setzt sich bereits in Bewegung, noch bevor der Zug völlig zum Stehen gekommen ist. Er taucht aus dem Führerstand auf und springt ins brennende
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