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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Gras, während er tief in seinem Inneren weiß, dass es auf diese allerersten Sekunden ankommen wird, dass die erste Schlacht über das Ergebnis des Krieges entscheidet. Wer jetzt zurückschreckt, wird immer im Gegenwind kämpfen, wird den Schwung verlieren. Er fletscht die Zähne und geht in die Hocke. Ein Schatten huscht ihm auf Reiherbeinen entgegen, torkelnd und mit auf und nieder zuckendem Kopf. Das Ding empfängt ein Bleirohr voll auf die Brust und wird zurückgeschleudert, während Joe ein wildes Brüllen ausstößt: Das ist für Edie! Und das für Ted! Und das für Billy und Joyce und das für Tess und für all die vielen anderen, die ihr auf eurem Weg erwischt habt. Und für mich. Oh, ja. Für mich. Er stapft durch den Nebel, mäht sie nieder und bleckt die Zähne. Als er merkt, wie sie sich um ihn herum sammeln, tritt er einen Schritt zurück, bis er das Wrack des Zuges im Rücken spürt und den Gestank nach verbrennendem Gummi riecht, der sich wie ein Vorhang über ihn senkt. Metallene Hände und Schwerter haschen hinter ihm her.
    Er ist bereits fort, lautlos auf seinen großen Füßen.
    Hinter ihm taucht Crazy Joes kleine, aber rechtschaffene Armee aus dem Lovelace auf und nimmt Gefechtsstellung ein: eine Ansammlung von Schlägern und Straßenräubern, die noch viel glücklicher als erwartet ist über ihre Gelegenheit zu Heldentaten; Boxer im Ruhestand und fragwürdige Bodyguards, Gelegenheitsattentäter und professionelle Beinbrecher, denen das Herz in der Brust hüpft bei der Aussicht auf einen guten Kampf – auf einen anständigen Kampf, dieses eine Mal. Dieses eine Mal, um für alles zuvor Abbitte zu leisten. Ihnen folgen die Fassadenkletterer und die Safeknacker, um den Zugang zu erleichtern; und dahinter die Bestatter – ein Dutzend trauervoller Gesichter auf durchs Sargtragen gestählten Schultern, pensionierte Soldaten, die ihre Vertrautheit mit dem Tod auf die harte Tour erlernen mussten. Nicht bloß eine Armee. Ein Rollkommando.
    Die Lokomotive heult und grollt. Das Feuer in ihrem Inneren brennt noch, der Dampf bildet sich zischend. Doch der Lovelace kann nirgendwohin. Die Sicherheitsventile sind blockiert, die Bremsen ebenfalls versperrt. Ein Sicherungssystem nach dem anderen schaltet sich ein und wieder aus, jedes von ihnen wohlbedacht im Voraus lahmgelegt.
    Durch den Nebel hört Polly Cradle, wie ihr Geliebter seinen Feind auslacht. Sie kann den Schatten seines Mantels und seines Hutes sehen, der spöttisch hin und her flattert. Sie kann die Schritte seines Tanzes spüren, den Rhythmus seiner wilden Fröhlichkeit.
    Sie hofft, dass er schnell genug ist. Dass er nicht so viel Spaß hat, dass er den Plan vergisst.
    Sie hebt ihre Hände, gestikuliert. Von seinem Platz in der Tasche, die über ihrer Schulter hängt, schnuppert Bastion, der Hund.
    Das Rollkommando zieht sich unauffällig zurück.
    Joe Spork lacht im Rauch, lacht durch das Banditenhalstuch, das er sich um Nase und Mund gebunden hat. Ein langer Metallschaft schwingt ihm entgegen. Er lässt ihn an sich vorbeifahren, zerrt dann daran, huscht vorbei. Er hat sie jetzt dicht im Nacken. Er schaut sich um, findet sich zurecht. Ja. Ja. So, so und so. Ritscheropf , wie man sagen könnte.
    Schritt für Schritt führt er seine Gegner zum Zug und der stöhnenden Lok zurück. Kurz fragt er sich, ob er das wirklich durchziehen wird. Es sind Männer darunter. Echte Menschen, wenn sie auch entseelt und verrückt sind. Sie könnten sterben. Dann denkt er an Polly und ihren Bruder und an die ganze weite, unvorstellbare Welt da draußen, die untergehen wird, wenn diese Nacht schlecht ausgeht. Und er denkt: Dies sind meine Folterer.
    Also scheiß auf sie.
    Wieder lacht er sehr laut und hört, wie sie zu ihm aufschließen. Scheppernd springt er auf die Stufen zur Lok, gleitet dann auf den Knien über den Metallboden und schlüpft auf der anderen Seite wieder hinaus, zu Polly Cradle und den anderen. Er zählt die Schritte: einszweidreivierfünfsechs … zwanzig … dreißig.
    Er hört das Klirren von Metall auf Metall, von Männern und Maschinen beim Gehäuse der Lok. Sie suchen nach ihm. Wieder stöhnt der Lovelace . Zu heiß. Zu voll. Zu viel.
    Joe Spork stürzt einen Hang hinunter, lässt sich in einen Graben zwischen zwei niedrigen Mauern fallen und richtet die Waffe seines Vaters auf den Korpus der Lok, auf den großen Dampfkessel mit seiner aufgestauten Wut. Er drückt den Abzug.
    Bangbangbang . Und dann: Bang .
    Die Nacht leuchtet weiß und
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