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Der goldene Esel

Titel: Der goldene Esel
Autoren: Lucius Apuleius
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verpflichtet. Nachdem ich in Demut mich, zwar nach meinem geringen Maße doch bei weitem noch nicht vollkommen, alles Dankes entledigt hatte, so schickte ich mich endlich, auf ausdrückliches Geheiß der Göttin, zu meiner Abreise an. Kaum vermochte ich die Bande der inbrünstigsten Liebe, die mich bei meiner Wohltäterin zurückhielten, zu lösen. Vor ihrem Angesicht stürzte ich nieder und wusch lange in stummer Betäubung ihre Füße mit meinen Küssen, bis ich zuletzt unter Tränen in diese, von häufigem Schluchzen unterbrochenen, erstickten Worte ausbrach:
    »Göttin! Heilige, ewige Erhalterin des Menschengeschlechts! Die Du nicht aufhörst, Schutz den schwachen Sterblichen zu verleihen; die Du dem Elenden die milde Zärtlichkeit einer Mutter angedeihen lässest! Kein Tag, keine Nacht, kein geringer Augenblick schwindet leer an Deinen Wohltaten dahin. Zu Wasser und zu Lande beschirmst Du die Menschen, entfernest von ihnen jegliche Lebensgefahr und reichst ihnen Deine hilfreiche Rechte, mit welcher Du das verworrene Gewebe des Schicksals auseinanderwirrest, die Unglücksstürme zum Schweigen bringst und der Sterne schädlichen Lauf einhältst. Dich verehren die oberen und unteren Götter. Du wirbelst die Erde im Kreise herum, entzündest das Licht der Sonnen, regierst die Welt und hältst den Tartarus untertan. Dir antworten die Gestirne, jauchzen die Götter, kehren die Jahreszeiten wieder und dienen die Elemente. Auf Deinen Wink wehen die Lüfte, füllen sich die Wolken, keimt das Gesäme und sprießt das Gras. Deine Majestät scheuen die Vögel unterm Himmel, die wilden Tiere auf den Bergen, die Schlangen in den Klüften und die Ungeheuer im Meer. Doch ich bin zu schwach an Geist, Dein Lob zu preisen, bin zu arm an Habe, Dir würdige Opfer zu bringen; Fülle der Worte gebricht mir, das Gefühl Deiner Herrlichkeit auszusprechen. Ja, leihe tausend Münder mir und ebenso viele Zungen nebst einem ewigen Fluß ununterbrochener Rede, dennoch bin ich zu ohnmächtig. So laß Dir denn wohlgefallen, was demütiglich meine fromme Armut Dir anlobt! Ewig soll Dein göttliches Antlitz, ewig Dein benedeiter Name hochverehrt im innersten Heiligtum meines Herzens leben!«
    Nachdem ich also zur Göttin gebetet, nahm ich auch vom Hohenpriester Mithras Abschied. Mit einer Rührung, als wenn ich mich von meinem Vater trennen müßte, hing ich an seinem Halse und küßte ihn und bat ihn um Vergebung, wenn ich die von ihm mir erwiesenen großen Wohltaten nicht würdiglich zu vergelten vermöchte. Endlich, nach langen, herzlichen Danksagungen, verließ ich ihn und begab mich hinweg.
    Mein Sinn war gerade nach meiner Heimat gerichtet, von der ich nun so lange Zeit abwesend gelebt hatte. Indessen, nach wenigen Tagen mußt ich auf Antrieb der Göttin meine Sachen über Hals und Kopf zu Schiffe bringen und gen Rom segeln. Mit günstigem Winde erreichte ich schnell und glücklich den Hafen, nahm einen Wagen und kam wohlbehalten am zwölften Dezember gegen Abend in dieser hochheiligen Hauptstadt an.
    Täglich war meine vornehmste Sorge, die Königin Isis anzubeten, deren erhabene Gottheit allda unter dem von der Lage des Tempels hergenommenen Namen, Isis vom Marsfelde, mit der größten Heiligkeit verehrt wird. Ich ward einer ihrer eifrigsten Diener, zwar fremd im Tempel, doch in der Religion einheimisch.
    Siehe, als die große Sonne nach durchlaufenem Tierkreise das Jahr vollendet, da erschien mir die wohltätige Göttin wiederum im Traume und ermahnte mich zu einer abermaligen feierlichen Aufnahme und Einweihung in die Geheimnisse.
    Ich konnte nicht begreifen, was dies vorstellen, was dies bedeuten sollte. Denn eingeweiht glaubt' ich schon aufs vollkommenste zu sein. Endlich, nachdem ich lange den Skrupel mit mir herumgetragen hatte, zog ich die Priester darüber zu Rate. Welch ein neues, wunderbares Licht ging mir da auf!
    Ich wäre zwar, sagten sie, in der Göttin Geheimnisse eingeweiht, aber in die des großen Gottes, des höchsten Vaters der Götter, des unüberwindlichen Osiris, wäre ich noch nicht aufgenommen. Ungeachtet beider Gottheit und Religion verbunden, ja ganz dieselbige sei, so wäre dennoch ein wesentlicher Unterschied zwischen der Weihe; daher sollt' ich nur denken, daß ich auch zum Diener des großen Gottes berufen würde.
    Der Knoten wurde bald gelöst.
    In einem Gesichte sah ich in der folgenden Nacht einen von den Priestern. Mit einem leinenen Gewande angetan, brachte er mir Thyrsusstäbe und Efeuzweige und andere
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