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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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»Sechzigtausend!«, »Siebzigtausend!«, »Achtzigtausend!« und »Neunzigtausend!«
    Der Applaus der Angestellten war pflichtbewusst lautstark. Rainer Torberg streckte noch einmal die Faust in die Luft.
    Ein Ende des Erfolgs war noch nicht abzusehen. Irene Großburgs Finger berührte ein Chart, auf dem eine Kurve progressivnach oben wies. Kurz hoben sich ihre Mundwinkel. Das hier, sie lehnte sich zurück, das hier war ihr Erfolg, ihr ganz persönlicher Erfolg. Die Glücksversicherung war ihre Idee gewesen, und sie alleine war es auch gewesen, die das Baby zum Laufen gebracht hatte, sie allein war es gewesen, die es groß gemacht hatte.
    Irene war froh. Zum wirklichen Glück fehlte nur noch eines. Sie fand es einen Tag später in der persönlichen Post. Ihre Hände zitterten, als sie das Kuvert öffnete. Es trug das Siegel und das Wappen ihrer Familie. Sie spürte das Hämmern ihres Herzens, als sie das Büttenpapier befühlte und sie die in blauer Tinte übers Blatt geworfene Handschrift ihres Vaters erkannte.

    Liebe Tochter,
    ich gratuliere Dir zu Deinem großen Erfolg.
    Ich bin stolz auf Dich.
    Von ganzem Herzen,
    Dein Vater

    Irene Großburg verspürte ein Drücken in der Brust, ein Brennen in den Augen. Sie unterdrückte die Regung, denn war dieses Gefühl nicht dumm? Nein, es war nicht dumm, endlich wollte sie es zulassen, endlich, endlich wollte sie Freude, reine Freude spüren. Ohnehin war es zu spät für Überlegungen, sie fühlte das Glück aus ihren Augen drängen. Rasch schloss sie die Jalousienwände ihres gläsernen Büros.

    Wenige Meter daneben warf Lichtenfels einen Blick auf den aktuellen Stand ihrer Erfolgsprovision. Die Summe war derart hoch, dass sie schmunzelnd den Kopf schütteln musste.
    Wenig später aber überfiel sie erneut diese geheime Traurigkeit.Die Glücksversicherung hatte ihr Erfolg eingebracht, doch hatte es sie auch etwas gekostet: Sebastian. Sie dachte an den Satz, den er ihr vor kurzem gesagt und alkoholbedingt sicherlich längst wieder vergessen hatte.
Wenn das Unglück dich packt, kann kein Glück dieser Erde dich retten.
Sie merkte, wie ihr Magen hart wurde und zu schmerzen begann bei dem Gedanken an ihn. Ich muss raus, dachte Lara, griff nach ihrem Trenchcoat, eilte aus dem Großraumbüro, nahm den Lift nach unten und rannte aus dem Gebäude.
    In dem kleinen Park, der hinter dem Versicherungsgebäude lag, drehte sie eine Runde nach der anderen. Ein Rabe flog schon die längste Zeit über ihr, und kurz bevor Lara Lichtenfels bei der Parkbank vorbeikam, schiss der Vogel auf die Sitzfläche. Lara blieb stehen, betrachtete den grünlich-schwarzen Batzen. Dann setzte sie sich, es blieb ausreichend Platz neben der Rabenscheiße.
    Ich muss aufhören, diese Unzufriedenheit ständig in mich hineinzufressen. Sie massierte mit den Fäusten ihren Bauch. Was war denn schon groß geschehen? Ja, Sebastian war drauf und dran, Alkoholiker zu werden. Aber was soll’s? Er ist ja nicht mein Mann, er ist nicht einmal mein Liebhaber. Ich habe ihn doch nie gehabt. Was ich gehabt habe, war dieses Gefühl, dieses wunderbare Gefühl. Was, verdammt – ihr Blick fiel auf das Häuflein neben ihr –, was hindert mich, mir dieses Gefühl wieder zu gönnen, was zwingt mich, darauf zu verzichten? Nichts! Nur ich! Ich Idiotin!
    Lara fischte das Mobiltelefon aus ihrer Tasche. Kurz zögerte sie, als sie auf das Display blickte, doch dann wählte sie Dimschs Nummer im Büro.
    »Hallo, Sebastian«, sagte sie. »Sebastian, ich hab unbändige Lust zu trinken. Köpfen wir eine Flasche Rotwein?«

    Eva Fischer saß in ihrem Büro und war zornig. Auf sich, auf Rainer, auf Großburg und auf die Versicherung. Sie hatte sich bei der Chefin eine Abfuhr geholt, als sie um Pengs Wiedereinstellung gebeten hatte. Und Rainer, ihr Freund, hatte ihr nicht beigestanden. Bei der ersten Enttäuschung, sagte sie zu sich und betrachtete ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe, bei der allerersten Enttäuschung hast du dir vorgenommen, Schluss zu machen mit Rainer. Eva stand auf und ging zum Fenster. Ihre Rabin war nicht da.
    Die Versicherung, hatte Großburg gegenüber Eva argumentiert, sei ein modern geführtes Unternehmen, innovativ, dynamisch, jung. »Ein Hausbote!«, hatte sie gerufen, anachronistischer gehe es ja wohl nicht. Nein, diese Zeiten seien endgültig vorbei.
    Rainer hatte nur dabei gestanden, hatte wie Großburg süffisant den Kopf geschüttelt über ihren Wunsch. Gewiss, Peng sei ein braver Angestellter gewesen,
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