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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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Würden die Menschen stets angeheitert sein, trunken, doch nicht zu sehr, wäre die Welt eine bessere. Ernste Dinge schienen nicht gar so ernst; Heiteres, andernfalls unentdeckt, würde wach geküsst, und überhaupt geriete das oft so zähe Leben mit einem Mal flockig und leicht.
    Während viele Menschen, wie Dimsch damals fand, wichtig taten, jedoch haftenblieben in kluger Theorie und gelehrter Unwissenheit, hielt er sich nicht lange auf, praktizierte seine Ansicht auf das Ausgiebigste, vorzugsweise mit gut gekühltem Lagerbier. Das bewirkte lebenspraktischen Nutzen: Die Wirklichkeit, die Dimsch durch etwas glasige Augen erblickte, war weit erfreulicher als jene, die andere Menschen gezwungen waren, für wahr zu nehmen.
    Seine Philosophie vermochte aber noch mehr. Mitunter geschah es, dass Dimschs wunderbare Sicht der Dinge zur Realität anderer wurde, ja dass Menschen in seiner Umgebung, etwa seine Kollegen in der Versicherungszweigstelle, freudig verblüfft waren ob der Leichtigkeit, die das Leben annahm, wenn sie es nur aus der richtigen Perspektive betrachteten. Dieser Umsturz der Naturgesetze, diese handstreichartige Beseitigung der vermeintlich einzigen Realität gelang vornehmlich dann, wenn sie sich Dimschs Lebensanschauung flaschenweiseverabreichen ließen. Bald nämlich hatte ihr schlaksiger Kollege mit dem chaotisch bernsteinfarbenen Haar damit begonnen, sich seiner Philosophie nicht nur privat zu widmen. Zudem schleppte er sie mit ins Büro, in beachtlichen Mengen und gut gekühlt.

    Chef der tief in der Provinz gelegenen Versicherungsniederlassung war ein kahlköpfiger, knapp vor der Pensionierung stehender, ab und zu jähzorniger Mann namens Kipfler gewesen. Seinen gravitätischen Körper setzte er nur selten der Büroluft aus. Stattdessen zog er es vor, die lokalen Konditoreien und Kaffeehäuser zu frequentieren, in denen sich Witwen ebenso aufhielten wie unterhaltungsbereite Ehefrauen. Bei Erdbeertörtchen und Piccolo-Sekt belehrte Kipfler seine Mitarbeiter, streichelte dabei mit den Fingerkuppen über die Wölbung seines Bauchs, sei potentielle Kundschaft auf das Eleganteste zu knacken. Es war eine Akquirierungsstrategie, die sich weniger in der Neukundendatei niederschlug denn in Vertragskündigungen aufgebrachter Ehegatten.
    »Herrgott Sakrament!«, fluchte Kipfler bei derartigen Vorkommnissen, wobei es kein Fluchen im engern Sinn war, das klarzustellen hielt er für nötig.
Herrgott Sakrament
war nicht Gottlästern, sondern im Gegenteil ein Anrufen, ja ein Anflehen des lieben Gottes, und weil das nun einmal so war und keineswegs eine Sünde, schrie Kipfler sein
Herrgott Sakrament
ohne schlechtes Gewissen und recht laut. Und weil er es auch häufig schrie, nahmen einige Mitarbeiter seine Gewohnheit an, so dass der liebe Gott recht ausgiebig angerufen und angefleht wurde in der Versicherungsfiliale.
    Fünf Außendienstmitarbeiter, vier junge Sachbearbeiter (einer davon Dimsch) und zwei von Kipfler persönlich selektierte Sekretärinnen mittleren Alters werkelten, lustlos meist,in der Niederlassung am Land. Nach anfänglichem Zögern ließen sie sich stets dann, wenn der Chef kaffeetrinkend, kuchenessend, kontaktknüpfend außer Haus war, von Dimsch Bier aus der Kühlbox reichen. So kam es, dass sie ihr Verstand mehr und mehr dazu brachte, sich glücklich zu fühlen, unbeschwert, ja verwegen souverän. Bald auch sahen sie die Dinge rundum nicht mehr düster oder eng. Und ihr gerade noch etwas ödes Leben geriet – welch fantastischer Zauber! – mit einem Mal aufregend, abenteuerlich, wunderbar. Weshalb bloß hatten sie all die Zeit gejammert? Es war doch alles gut. Nun erkannten sie, dass sie es fein hatten hier im Büro. Sahen ein, dass die anderen allesamt großartige, sympathische Menschen waren, genau wie sie selbst, ja dass es überhaupt das pure Vergnügen war zu leben.
    In Wirklichkeit jedenfalls war alles lockerer, als sie bisher gedacht hatten. Termine etwa sahen sie ganz und gar nicht mehr so dringlich, Zielvorgaben des Chefs mit einem Augenzwinkern, seine Anweisungen völlig gelassen, Kundenbeschwerden mit einer nie gekannten Entspanntheit, das Weltgeschehen ohnehin. Skeptikern erklärte Dimsch, überschlug dabei seine langen Beine über dem Tisch des Chefs, dass sie keineswegs die Realität verdrängten. Da niemand wisse, welche Interpretation der Wirklichkeit dem Original am nächsten komme, welche also die wirkliche Wirklichkeit sei, könne man sich getrost für die angenehmste
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