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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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Wasser durchdrang seine Hose und sein dunkles, grob kariertes Holzhackerhemd. Durch seinen Kopf rasten Blitze und sein Scheitelbrannte heiß wie frisch angefachte Glut. Jakob wollte sich zwingen, die Augen zu öffnen, um nachzusehen, ob er noch lebte. Als er es geschafft hatte, lag ein dicker Schleier über seinen Augen. Über ihm drehte sich der Himmel, wirbelte und kreiste. Jakob hatte Angst, furchtbare Angst um den Toilettenspiegel des Seifritz-Bauern. Totprügeln würde ihn der Vater, sollte der Spiegel nicht rechtzeitig und unversehrt wieder an seinem Platz sein. Jakob nahm all seine Kraft zusammen. Mühsam drehte er sich aus der Rückenlage zur Seite, stützte sich auf den Ellenbogen und tastete nach der Vorrichtung. Seine Hände strichen über schmieriges Gras. Seine Augen waren wie betrunken. Er stieß an das Metallband, tastete sich hastig am Gestänge entlang und wischte über die feuchtglatte Oberfläche des Spiegels. Komisch, blutverschmiert, dachte er. Aber gottlob, der Spiegel war nicht zersprungen. »Danke«, flüsterte Jakob. Und weil seine Kräfte aufgebraucht waren, kippte er nach hinten.

    Es war ein Traum, in den er fiel. Eine mächtige Kraft zog Jakob nach unten, in sich selbst hinein, und ließ ihn in rascher Folge Bilder seines Lebens erkennen. Es begann mit dem jüngst Erlebten: Er sah sich von weit oben, vom Himmel her, wie er im Morgengrauen auf der großen Bachwiese rückwärts ging, ein imposantes Blechgestell auf dem Kopf. Dann folgte eine zurückliegende Episode. Und noch eine, und noch eine. Schließlich sah er sich als Kleinkind. Merkwürdig, dachte Jakob, ich reite auf einem Bären.

    Zwei Ohrfeigen, rechts und links, holten ihn zurück.
    »Gott sei Dank«, sagte der Bürgermeister, rückte den Jägerhut auf seinem kantigen Glatzkopf zurecht, »wir haben schon geglaubt, du bist tot.«
    Jakob lächelte. »Es funktioniert«, flüsterte er, »es funktioniert, ich kann meine eigene Zeit schlucken.«
    »Du bist ein verfluchter Idiot«, schimpfte der Wirt, doch seine Empörung war gespielt. »Wieso machst du dauernd so Blödsinn? Da darfst du dich nicht wundern, wenn dir was passiert.«
    »Warum habt ihr auf mich geschossen?«, fragte Jakob ruhig.
    »Wiiir?«, krähte der Wirt, schüttelte den Kopf und sah, etwas verzagt, zum Bürgermeister.
    »Du bist schon selber schuld«, sprach der in lehrerhaftem Ton, zurrte das blutgetränkte Tuch um Jakobs Kopf noch enger. »Was verkleidest du dich auch und setzt dir ein Geweih auf. Froh kannst du sein, von Glück reden und dem Herrgott danken, dass dir nicht mehr passiert ist als der Streifschuss.«
    Jakob dachte nach über den Wert dieses Glücks. Weil das dauerte und er deshalb nicht widersprach, wurde der Bürgermeister zufrieden, ruhiger, sanft, und ergänzte dann im Ton eines guten Onkels, der zu einem dümmlichen Kind spricht: »Es war Nebel. Und du warst so gut verkleidet, da haben wir geglaubt, du bist ein Rehbock.«
    Das konnte Jakob nicht glauben. Aber ihm gefiel die Idee, dass er für einen Rehbock gehalten worden war. Deshalb lachte er und sagte: »Ein Rehbock, ihr habt geglaubt, ich bin ein Rehbock.«
    Der Bürgermeister nickte zufrieden. Und stolz, als hätte er etwas Ruhmreiches vollbracht. Der Wirt sah den Bürgermeister an, atmete erleichtert durch, bekam einen auffordernden Blick zugeworfen und schulterte also Jakobs Körper.
    »Ich muss den Spiegel zurückbringen!«, fiel dem Burschen ein, dann schwappte bleiernes Grau in Hals und Augen. Er war wieder bewusstlos.
    »Ja, ja«, sagte der Bürgermeister.

    Als sie ins Dorf kamen, der Bürgermeister mit der Metallkonstruktion in der Hand, der Wirt mit Jakobs Körper über der Schulter, wurde vom Kirchturm her gerade sechs Uhr geläutet. Der Erste, der sie kommen sah, war der Pfarrer.
    »Was hat er denn diesmal angestellt?«, rief er und schlug die Hände vor der Brust zusammen.
    Rasch senkte der Wirt den Blick und tat, als ob er unter Jakobs Last vor Schnaufen nicht antworten könnte.
    »Grüß Gott, Herr Pfarrer!«, rief der Bürgermeister und hielt die Metallkonstruktion in die Höhe. »Mit dem Trumm da auf dem Kopf hat es ihn mitten auf der Bachwiese hingeschnalzt. Das scharfe Blech hat seinem blöden Schädel ein Scherzi abrasiert. Kann dem Herrgott danken, dass nicht mehr passiert ist!«
    »Mein Gott!«, stöhnte der Pfarrer sorgenvollen Blicks, die Hände übers Herz gelegt.
    »Wir bringen ihn zum Seifritz-Bauern!« Der Bürgermeister zog den Hut zum Gruß.

    Gut zehn Minuten
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