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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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mehrere Meter und zwei Räume von den Kollegen entfernt, seinen Strahl zischend ins Pissoir der Firmentoilette. Zufrieden beobachtete er, wie sich sein Urin im Uhrzeigersinn zu einem Kreisel drehte, außerordentlich klar und hell schäumend wegen des genossenen Lagerbiers. Dimsch legte den Kopf in den Nacken. »Herrlich!« Befreit atmete er aus.
    Als er in den Besprechungsraum zurückkehrte, fand er ihn leer vor, die Sitzung war bereits beendet. Vor Freude ballte Dimsch die Faust.

    Überhaupt war dieser Tag einer von den guten. Dimsch freute sich für seinen Mitarbeiter Robert, der mit rührend kindlichemVergnügen berichtete, dass sein Schiff bald, wirklich bald seeklar sein würde. Er bewunderte auch einen neuen, erstaunlich kurios anmutenden, bunten Kugelfisch, den Sabine gefertigt hatte, und stellte fest, dass ihm sein zunehmendes Verständnis für ihre Kunst ein bisher unbekanntes, anregendes Gefühl verschaffte. Zudem führte Dimsch zwei befriedigende Kundentelefonate. Das war ihm von Irene Großburg ausdrücklich verboten worden, aber Dimsch fühlte, dass die Chefin keinerlei moralisches Recht hatte, ihm Kundentelefonate zu verbieten. Die Glücksversicherung hatte sie ihm entreißen können, aber das Gefühl, anderen Glück zu bereiten, würde er sich nicht nehmen lassen.
    Dachte er zu viel nach über sein Tun, plagten Dimsch nach wie vor Zweifel, fand er es anmaßend, andere zum Glück führen zu wollen. Doch sobald er nach einem guten Telefonat spürte, was er bewirkt hatte, durchströmte ihn ein geradezu religiöses Gefühl der Sicherheit. Ein Dilettant des Glücks war er, unfähig, es selbst zu halten, doch berufen, es mit leeren Händen reichlich zu verschenken.
    Zumeist war es gar nicht schwierig, die Menschen aus jenem Unglück zu locken, das sie aus purer Gewohnheit zu ihrer Wohnung hatten werden lassen. Einen Ausflug in die unbeschwerte Freiheit verschaffte Dimsch beinahe allen. Um an die Daten und Telefonnummern der Kunden zu gelangen, besorgte er sich den Zugriffscode für die Computerdatei, was natürlich verboten war. In der IT-Abteilung pfiff eine Kollegin drauf und assistierte Dimsch. Sie hatte an sich selbst erfahren, was seine Kunst vermochte.
    Einer Kundin etwa, verheiratet, um die fünfzig – sie schämte sich gegenüber ihrem stets starken Partner für die Lächerlichkeit ihrer Sorgen –, erzählte Dimsch von seinem kleinen Sohn. Er berichtete, dass er oft herzerzitternd weinte wegen Vorfällen,die ihm, dem Erwachsenen, läppisch erschienen, etwa dem bloßen Hinunterfallen einer glänzenden Murmel aus Glas. »Derart kindlich verletzlich bleiben wir ein Leben lang«, sagte Dimsch. Jeder habe sein ganz persönliches Thema. Werde es berührt, erlitten wir einen für andere nicht nachvollziehbaren Schmerz, den unser Unterbewusstsein mit einem unergründlichen, größeren Leid verbinde. »Erzählen Sie Ihrem Partner davon«, riet Dimsch, »womöglich helfen Sie ihm damit ja, sich seiner Glasmurmel zu erinnern.«
    Manchmal verstand es Dimsch, tief hinein in Herzen zu schauen. Das rührte die Menschen. Und hin und wieder sah er in ihnen sogar etwas, an das sie bisher selbst nicht zu glauben wagten, dann war ihr Glück noch größer.
    Wenn Dimsch telefonierte, hatte er meist die Füße auf dem Heizkörper überschlagen, und unter dem Schreibtisch stand die Kühlbox aus alten Tagen, mit reichlich Lagerbier darin. Dosierte er zu großzügig, rutschte er zuweilen in eine Melancholie. Die trieb ihn dann, ließ ihn besonders warm und offen mit den Menschen reden. Nur wenige waren verstört, sprachen von Unerhörtheiten, wenn Dimsch ihnen bislang Ungehörtes zumutete. Manche waren irritiert, entschuldigten sich, peinlich berührt, und legten auf. Die meisten aber fanden Gefallen an der Überraschung, ließen sich Bedeutendes sagen und Bedeutendes entlocken, für das es in ihrem Leben zuvor noch nie ein Wort gegeben hatte. Unsagbares wurde ausgesprochen und verlor damit an Schwere. Ganz so, als würde die Berührung mit Luft die Dinge ihrer Last entheben.
    Oft schleuste Dimsch seine eigenen Gefühle und Wünsche in die Lebensthemen der Kunden, sprach zwar von ihnen, meinte aber sich. Dann wurde den Kunden besonders kribbelig ums Herz und bis zum Weinen schön, denn Dimschs Wünsche waren auch die ihren.
    Freilich gab es auch schlechte Telefonate. Diese Gespräche unterliefen Dimsch, wenn er wankelmütig war und sich zum Schutz an Aphorismen klammerte. In solchen Fällen durchsetzten Phrasen und
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