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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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euphorischen Anfall hatte er gestern seine Anzüge und Krawatten entsorgt und war noch am selben Abend mit einem riesigen Stoß Bücher übers Glück heimgekehrt. Es lag wohl auf der Hand, sie schmunzelte zufrieden: Sebastian stellte sich endlich auf seine Vaterrolle ein, besann sich der entscheidenden Werte. Ins Bild passte auch, dass er das am Frühstückstisch von den Kindern angerichtete Chaos viel gelassener hinnehmen konnte als gewöhnlich. Und: Er hatte kein einziges Mal sein albernes
Herrgott Sakrament
geflucht.
    In den Anzügen hatte er ihr zwar besser gefallen als in den lächerlichen Pullis und diesen heillos aus der Mode geratenen Jeans, aber was soll’s, das nahm sie locker in Kauf. Genüsslich schenkte sie sich eine Schale Kaffee ein.

    Dimsch indes saß in der Straßenbahn und kringelte ein Büschel Haare um seinen Zeigefinger. Das tat er nur, wenn er entspannt war oder nachdenklich. Im Moment war er entspannt, es war also ein gutes Zeichen, dass er so dasaß, die langen Beine übereinander geschlagen, die Aktentasche auf dem Schoß, und ungeniert Haare drehend wie ein Kleinkind. Als die Straßenbahn bei einer Station hielt, blickte er aus dem Fenster und sah, unscharf, sein Spiegelbild. Über der Schläfe stand ein Haarbüschel spektakulär zu Seite. Dimschs Mundwinkel zuckten nach oben. Anders als sonst versuchte er die abstehende Strähne nicht glattzustreichen, sondern sparte die Stelle eigens aus, fuhr mit der Hand lediglich über seine Stirn. Die aus ihr mäandernden Geheimratsecken fand er heute gar nicht störend, eigentlich passten sie recht gut zuseinem junggebliebenen Gesicht. Und selbst seiner großen Nase gewann er an diesem Morgen etwas irgendwie Verwegenes ab.
    Dimsch sah nach vorne. Vier Reihen weiter kicherten Kindergartenkinder und zeigten mit dem Finger auf ihn.
    »Der Mann hat aber eine lustige Frisur«, gluckste eines.
    »Ja, lustig!« Die anderen lachten.
    Dimsch schnitt eine Grimasse und neigte den Kopf zur Seite. So kam das gezwirbelte Büschel Haare noch spektakulärer zur Geltung.
    Je näher er dem Büro kam, desto besser wurde seine Laune. Er winkte den aussteigenden Kindern zu, die während der Fahrt mit bemerkenswerter Ausdauer versucht hatten, ihre Haare ähnlich abstehend zu machen wie seine.
    Eine Station vor der Versicherungszentrale wanderten seine Mundwinkel erneut nach oben. Worüber sich Dimsch vor wenigen Wochen noch hatte ärgern müssen, nämlich die Übersiedelung der kleinen Abteilung, die er leitete, in den fernsten, miesesten Winkel der Versicherung, schien ihm nun wie eine wunderbare Fügung. Erst die Zwangsdelogierung aus dem hellen, prestigeträchtigen Großraumbüro nahe der Chefin in drei abstellkammergroße Zimmerchen zwei Stockwerke tiefer würde es ihm ermöglichen, sich fortan ebenso unbemerkt wie ausgiebig seiner Glückslektüre zu widmen. Auch seine Mitarbeiter, Sabine und Robert, die in den Kämmerchen rechts und links von ihm einquartiert worden waren, würden nichts mitbekommen. Grotesk, in den Augen der anderen, besonders der übrigen Abteilungsleiter, war er abgeschoben und degradiert worden, in Wirklichkeit aber in die Freiheit entlassen und königlich beschenkt. Dimsch entkam ein Grinsen.

    Sein Privatissimum, dem er beginnend mit diesem Tag gedachte, nachzugehen, hoch motiviert bis zum Feierabend, womöglich sogar länger, ja womöglich würde er erstmals freiwillig Überstunden einlegen, war mit Garantie die sinnvollste Bürotätigkeit seit Jahren. Ab sofort würde er seine Zeit nicht mehr mit Kundenzufriedenheitsprogrammen, Statistiken und Umfragen verderben. Er würde sich auch nicht mehr am Lieblingssport der Abteilungsleiter beteiligen und Maßnahmen sowie Projekte vorschlagen, die nichts anderem dienten als dem hohen strategischen Ziel, der Chefin zu gefallen – was, zugegeben, durchaus eine Herausforderung war, angesichts ihres launenhaften Geschmacks und kunterbunten Meinungsbildes, das sich flugs ändern konnte, je nach Stimmung und Stand des Mondes.
    Irene Großburgs Zustimmung zu erhaschen und ihrer Gunst nicht verlustig zu gehen hatte auch Dimsch Energie gekostet. Fortan würde er sie anders zu nutzen wissen. Zudem nahm er sich vor, sein Leben nicht länger mit Themen zu vergiften, deren nervenaufreibende Dramatik außerhalb dieses
Die Versicherung
genannten Sonnensystems jäh verblasste, ähnlich Geisterbahngruseln beim Einschalten von Licht. Nur einer einzigen Bürotätigkeit wollte Dimsch fortan Wert beimessen, nur einer
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