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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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Frage sich mit Leidenschaft widmen: jener, wie ein menschliches Leben gelingen kann. Nicht mehr die Karriere, diesen Teil von sich, wollte er fördern, sondern sich.
    Dimsch stieg aus der Straßenbahn. Und dann ging er nicht in die Richtung seines Arbeitsplatzes – er rannte.
    Beschwingt durchschritt er das Portal, rief den beiden Empfangsdamen, die wegen seines saloppen Kleidungsstils irritiert schienen, ein ansteckend herzliches »Guten Morgen!« zu, schwebte geradezu über den blank polierten Marmorboden, bog hinter dem Aufzug mit einem tänzelnden Seitschritt nachlinks ab und betrat durch eine Brandschutztür jenen Trakt, der bis vor kurzem, nämlich bis zu seinem Umzug, völlig ungenutzt gewesen war. Nachdem er weitere Brandschutztüren überwunden und einen gut zwanzig Meter langen Gang durchschritten hatte, der mit veilchenblauem Linoleum aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts ausgelegt war, stand Dimsch vor seinem Büro. Neben der Tür, knapp unter Augenhöhe, hing noch immer nicht das von ihm bestellte Schild
Sebastian Dimsch, Abteilungsleiter Meinungsforschung und Statistik.
Stattdessen verwiesen verstaubte Steckbuchstaben auf den ehemaligen Zweck des Raums:
agazin
. Offensichtlich fehlte das
M
zu Beginn des Wortes. Das Zimmer war also ein Magazin gewesen, ein simpler Vorrats- oder Lagerraum zum Abstellen, Ablegen, Aufbewahren von Dingen, die aktuell nicht sonderlich gebraucht wurden. Nun war es sein Arbeitsplatz. So oft wie heute hatte Dimsch schon lange nicht mehr gegrinst.
    Das dem geköpften Wörtchen
agazin
folgende
B
erklärte sich durch die rechts und links liegenden Zimmer seiner Mitarbeiter; Roberts: Magazin A, und Sabines: Magazin C.
    Dimsch verharrte vor seiner Bürotür, blickte noch immer auf das Schild und spürte eine Lustigkeit in sich hochsteigen. Nicht, dass er lauthals aufgelacht hätte, es begann vielmehr mit einem ihn selbst überraschenden Schnauben aus der Nase. Dem folgte ein Zittern im Zwerchfell, das sich seine Bahn durch Brust, Hals und Kehle bahnte. So stand er da, mehr unkontrolliert hechelnd als klar lachend, und seine Schultern zuckten vor Vergnügen. Wie blöd er gewesen war, dachte Dimsch. Geärgert und gekränkt hatte es ihn, dass er nach der Zwangsumsiedlung auch noch um ein korrektes Türschild hatte betteln müssen, eines, das ihm beim Anblick hätte bestätigen sollen, was nach wie vor sein Rang und sein Namewaren. So weit war es mit ihm gekommen! Als ob es nötig wäre, ein Schild zu besitzen, um sich seiner sicher zu sein. Unfassbar auch, wie sehr ihn der Kampf um das Namensschild mitgenommen hatte. Bis in den Schlaf hatte ihn das lächerliche Thema verfolgt, Atem, Blutdruck, sogar Rhythmus seines Herzens durcheinandergebracht.
    Jetzt stand er da und lachte. Konnte gar nicht mehr aufhören.
agazin B
. Köstlich! Und wie genial! Besser ging es doch gar nicht: dieses Büro hier unten im letzten Winkel des Gebäudes und nun auch noch dieses Schild.
agazin B
. Die Tarnung war schlichtweg perfekt. Niemand, absolut niemand würde ihn hier stören.
    Als beträte er einen eigens für ihn erbauten Palast, überschritt Dimsch die Türschwelle und trat in sein knapp zwölf Quadratmeter messendes, mit grauen Filzquadern ausgelegtes Zimmerchen.
    Er setzte sich an seinen Computer, überflog die eingegangenen E-Mails, stellte erleichtert fest, dass keine sonderlich dringend war, und machte es sich gemütlich; rollte mit seinem Bürosessel zurück, schwang die Füße auf den Tisch, fischte in seiner Aktentasche und ließ sich als Erstes die Lehren des griechischen Philosophen Epikur in den Schoß fallen. Kurz hielt er noch inne, um den bevorstehenden Genuss der Lektüre auch ausreichend zu würdigen, sah dabei aus dem Fenster, betrachtete also die kaum drei Meter entfernte Feuermauer, die ihm jeden Blick auf den Himmel verwehrte, wie er vor kurzem noch gefunden hatte, und die ihm wunderbaren Schutz vor neugierigen Blicken verschaffte, wie er nun feststellte. Befreit atmete er durch, gleichsam als letzte zeremonielle Konzentration vor dem Sprung ins Abenteuer, und schlug die erste Seite auf.

5
    Der Text war gewiss keine leichte Kost, und dennoch überkam Dimsch schon nach wenigen Passagen das Gefühl, als würde er von diesen Zeilen auf ungekannte Art beflügelt, als segelten seine Gedanken durch genussgeladene, bisher unerforschte Zonen, und jede weitere Sichtung gab ihm neuen Schwung, gab ihm Hoffnung, niemals mehr sinken zu müssen auf altes Terrain. Welch gewaltiger
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