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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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Altkleidersammelstelle.

3
    Die junge Frau am Informationsschalter, die von Dimsch nicht ausschließlich der Information halber, sondern wegen ihres Lächelns angesteuert worden war, legte ihr Lächeln ab, als er sie mit
du
ansprach. Sie ärgerte es, wenn sie nicht für voll genommen, von Älteren wie ein Lehrmädchen geduzt wurde. Dimschs Schultern sackten nach unten, als er ihr kühles
Sie
entgegennehmen musste. Immer öfter passierte es, dass ihn Menschen aus dem unbeschwerten Club der Jugend ausschlossen, ihm mit der förmlichen Anrede das Recht entzogen, sich wenigstens zu fühlen, als sei er noch knackig frisch.
    »Philosophie, Glück und Lebenskunst werden umgestaltet. Die Umbauarbeiten dauern leider länger als vorgesehen.« Die junge Frau legte ihre Hände aufs Pult, die Rechte wie zum Schutz über die Linke. »Aber ich kann Ihnen anbieten, dass Sie sich am Touch-Screen einen Überblick über unsere Auswahl verschaffen.«
    Ein Versuch noch, dachte Dimsch.
    »Das ist sehr freundlich«, er bemühte sich, nett dreinzuschauen, »aber weißt du, virtuelles Glück reicht mir nicht.«
    »Natürlich«, kam geschäftig als Antwort, »doch in diesem Fall kann ich Sie leider nur auf später vertrösten.« Ihr Daumen wanderte über ihren Handrücken und wieder zurück.

    In einer anderen Filiale derselben Kette verzichtete Dimsch vorsichtshalber auf jeden menschlichen Kontakt, peilte im Eilschritt die Regale
Lebenskunst
und
Glücksfindung
an.
Philosophie
fand er dahinter, im Eck.
    Erkenne dich selbst
. Das Cover des Buches war mit Spiegelfolie überzogen. Platte Idee des Verlags, dachte Dimsch. Er las den Untertitel –
Wege zu dir, Wege zum Glück
– und fandseinen Blick im Spiegelbild wieder. Unruhig sah er sich um, vergewisserte sich, nicht beobachtet zu werden, tat dann, als prüfte er wie beiläufig den Titel – einen von vielen – und betrachtete ausgiebig sein Antlitz.
    Die Folie spiegelte, etwas matt und leicht verzerrt, ein schlankes Männergesicht, skeptische, blaugraue Augen, das krause Haar notdürftig aus der hohen Stirn gestrichen. Zuerst fiel Dimsch jenes Merkmal auf, das seinem Gesicht den besonderen Ausdruck schenkte, die Nase. Sie schien ihm viel zu groß. Gleich danach stellte er fest, wie über Nacht noch mehr graue Haare bekommen zu haben. Er legte das Buch auf den Stapel zurück, wandte sich um, unterlag aber, wie er sich eingestehen musste, einer geradezu lächerlichen Neugier, beugte sich also wieder über den Stapel, blickte von oben herab in das ihn spiegelnde Buch, und da schien seine Nase noch größer, und dazugekommen war ein Doppelkinn. Genervt von dem Bild, das er von sich hatte, drehte er das Büchlein um und klatschte es verkehrt auf den Stapel. Was Dimsch noch registrieren musste, bevor er sich abwandte, waren die fettgedruckten, ersten Worte der Zusammenfassung am Buchrücken:
Du bist, wie du es siehst
.
    Binsenweisheit, dachte Dimsch verächtlich, hielt inne, zischte »Herrgott Sakrament!«, denn er musste es wissen, musste weiterlesen.
    Jedes Buch ist ein Spiegel. Doch dieses ist ein Vergrößerungsspiegel, es wird dein Leben verändern. Nur getrauen musst du dich hinzusehen, ganz genau hinzusehen, ins Buch, in dich.
    Schwachsinn!
Dimsch warf das Büchlein auf den Stapel zurück. Es rutschte, glitt ab, fiel zu Boden.
    Er würde das verdammte Ding nicht aufheben, nein, nein, nein, gewiss nicht! Obwohl, es gehörte sich nicht, ein Buch fallen zu lassen und nicht aufzuheben.
    Dimsch sah sich um. Niemand hatte etwas bemerkt.
    Ich gehe einfach, beschloss Dimsch probeweise und wusste in derselben Sekunde, dass er, gleichsam gegen seinen Willen, noch einmal zu diesem Band greifen würde.
    Als er es kaum später in Händen hielt, spürte er, wie es sich bog unter seinem Ärger. Und dann konnte er nicht anders, donnerte das Buch mit einer Leidenschaft auf den Stapel, dass es laut klatschend davonschnellte und fünf, sechs andere Exemplare mitriss. Vor Schreck griff Dimsch sich an die Nase.
    Auf dem dunkelblauen Teppichboden lagen die Bücher. Alle wie verhext mit dem spiegelnden Cover nach oben. Als er auf sie zuging, um dem Chaos Einhalt zu gebieten, veränderte sich mit jeder seiner Bewegungen der Blickwinkel. Und so musste Dimsch sehen, wie von diesen Büchern, diesem Spiegelkabinett des Zufalls, nicht bloß seine Gestalt reflektiert wurde, samt Riesen-Nase, sondern er selbst – zusammengewürfelt aus unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Teilchen. Heiß war Dimsch plötzlich und
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