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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman
Autoren: Noam Shpancer
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Flügelschlag in den dunkler werdenden Himmel. Ich stand bei einem Flecken frisch umgebrochener Erde vor einem flachen Grabstein inmitten einer endlosen Reihe weiterer Grabsteine. Ich stand regungslos da und schaute auf das, was von Barry Long geblieben war. Warum ich dort stand, weiß ich nicht. Ich hatte dort nichts verloren, das wiedergefunden werden konnte. Ich nahm einen Stift aus meiner Hemdtasche, und in meiner Brieftasche fand ich ein Blatt Papier. »Das Licht ist aus«, schrieb ich, »und niemand ist zu Hause.« Dann strich ich die Zeile durch und ersetzte sie durch eine andere:
    »Ich hoffe, Sie finden Ihr antikes Tamburin.«
    Auf dem Fußweg hinter mir hob ich einen Stein auf und wischte ihn mit dem Ärmel sauber. Ich faltete das Blatt, legte es auf den Grabstein und beschwerte es mit dem Stein – Stein auf Stein und dazwischen Papier; und auf dem Papier Worte. Dann drehte ich mich um, ging davon und kehrte nie wieder zurück.

44
    D ie Terrasse, von der aus man den Skulpturengarten des botanischen Gartens überblickte, hatte sich geleert, als wir uns an ein Tischchen in der Nähe des Geländers setzten. Wir saßen lange schweigend da, ein großes Schweigen, tief wie das Meer.
    » Du siehst gut aus « , sagte ich zu Alex.
    » Danke. «
    Wir verfielen erneut in Schweigen und umklammerten unsere Gläser. Drinnen hämmerte Musik. Sam, ihre Freunde und unsere Verwandten tanzten unter den funkelnden Kronleuchtern.
    » Ein schönes Paar « , sagte sie.
    » Ein schönes Paar « , nickte ich.
    » Danke, dass du geholfen hast, das alles zu organisieren, David. Ich weiß, dass es nicht einfach für dich war. «
    » Danke, dass du einverstanden warst, Dr. Helprin zu helfen « , sagte ich. » Das war nett von dir. «
    » Ein wunderbarer alter Mann « , sagte sie, » und ziemlich einfach umzuziehen. Eigentlich hatte er nur Bücher. «
    Wir saßen da und schwiegen.
    » Es ist schön, Sam glücklich zu sehen « , sagte ich schließlich.
    » Ja. «
    » Sie werden zurechtkommen. «
    » Ja. «
    Schweigen.
    » Dr. McCormick ist gestorben « , sagte Alex unvermittelt.
    » Dr. McCormick? «
    » Ja. Der alte Mann, für den wir vor ein paar Monaten den Umzug erledigt haben. Erinnerst du dich, dass ich dir von ihm erzählt habe? Er war derjenige, der immerzu geweint hat. «
    » Ja. McCormick … der mit dem Piloten-Sohn. «
    » Ja. «
    » Ich weiß von ihm « , sagte ich.
    » Wie meinst du das? «
    » Der Sohn, er ist derjenige, mit dem du zusammen warst. «
    » Woher weißt du das? «
    » Sam hat im Vorbeigehen eine Bemerkung fallenlassen, ich wollte nicht … «
    » Ist schon in Ordnung. «
    » Außerdem habe ich dir nachspioniert. «
    » Mir nachspioniert? «
    » Ja. Nachdem du ausgezogen warst. Ein paarmal … ich war außer mir. «
    Sie sah mich an.
    » Ich habe Dr. McCormick erst vor drei Tagen zu einem Konzert mitgenommen « , sagte sie nach einer Weile. » Er konnte kaum gehen, kaum etwas sehen. Kaum etwas hören. Aber du hättest ihn sehen sollen, in seinem schwarzen Anzug und mit der Fliege aus alten Tagen, die wir in seinem Schrank gefunden haben. Er sagte, er habe den Anzug zuletzt an dem Tag getragen, als er sein Medizinstudium abgeschlossen hat. Er war viele Jahre Kinderarzt. Du hättest ihn bei diesem Konzert sehen sollen; er ging ganz aufrecht und strahlte über das ganze Gesicht. ›Rachmaninow‹, flüsterte er mir zu; ›Rachmaninow …‹, wie den Namen eines Freundes. Vor ein paar Stunden hat mich Brandy angerufen und mir gesagt, dass er gestorben ist. Herzinfarkt. Ganz plötzlich, einfach so. «
    » Nicht gerade plötzlich mit Mitte achtzig « , sagte ich.
    Sie sah mich an. » Du weißt, was ich meine. «
    Ich nickte.
    Schweigen.
    » Ich habe die Reise gemacht « , sagte ich.
    » Die Reise? «
    » Unsere Reise. «
    » Unsere R… Oh, zu den Turks- und Caicos-Inseln? Mit wem? «
    » Allein. «
    » Allein? «
    » Allein. Ich bin allein gefahren. «
    Sie sagte nichts mehr und betrachtete ihr sich langsam leerendes Glas. Dann hob sie den Kopf und sah mich an, und ihr Blick war warm, wie ich ihn aus alten Tagen kannte. » Wie war es? «
    » Komisch. Aber gut. Nicht auf eine Weise gut, die ich erwartet hätte, sondern anders. «
    » Hast du in dem Hotel am Hafen gewohnt? «
    » Ja. «
    » Bist du nach Middle Caicos geflogen? «
    » Ja. «
    » Wie war die Villa? Wie die Bilder im Netz? «
    » Besser. Direkt am Strand. Gegenüber lag eine kleine Insel. Bei Ebbe entstand eine Sandbank und hat sie mit dem Festland
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