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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman
Autoren: Noam Shpancer
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können, die seine Leiche übernehmen, und wenn niemand sonst ihn will, tritt dieses Verfahren in Kraft. «
    » Was für ein Verfahren ist das? «
    » Wenn der Körper in gutem Zustand ist, schicken wir ihn an die Universität als Beitrag zur Wissenschaft, verstehen Sie. Manchmal schicken wir ihn an die Body Farm der Polizei in Cleveland. Dort verrotten die Körper, und Polizisten und Forensiker lernen daraus eine Menge. Falls dort kein Platz ist, wird der Tote eingeäschert. Asche benötigt weniger Platz, wissen Sie. Sehr selten meldet sich ein Beerdigungsinstitut aus der Stadt und spendet einen Grabstein. Doch ohne Geld, nun, Sie wissen ja … «
    » Ich möchte für sein Begräbnis und den Grabstein aufkommen « , sagte ich unvermittelt.
    Maloney starrte mich forschend an, sagte aber nichts. Schließlich beugte er sich vor, riss eine Seite aus seinem Notizbuch, das auf dem Schreibtisch lag, und kritzelte eine Nummer darauf. » Das Büro des städtischen Leichenbeschauers « , sagte er. » Rufen Sie dort an. Die helfen Ihnen weiter. «
    Auf dem Heimweg im Auto fühlte ich mich benommen, und mir war kalt. Draußen pfiff ein stürmischer Wind und ließ in chaotischen Wellen spätwinterliches Schneegestöber gegen die Windschutzscheibe branden. Ich beugte mich vor, um besser sehen zu können. Die Umrisse der umliegenden Gebäude verschwammen in einem diffusen weißen Nebel. Von den Autos vor mir waren nur noch schwach blinkende rote Punkte zu sehen. Der Verkehr, von den heftigen Schneeschauern geblendet, kam fast zum Erliegen. Meine Gedanken wanderten zu Barry Longs Wohnung, zu der verschlissenen Couch und dem leeren Kühlschrank. Ich stellte mir vor, wie er dort saß, kurz bevor er …
    Er war allein, als er starb.
    Er war allein, als er starb.
    Plötzlich durchzuckte es wie ein Blitz durch meinen Schädel – die Treppe. Die Treppe! Barry Longs Wohnung war nur über eine Treppe zu erreichen. Als ich dort gewesen war, war mir das in dem allgemeinen Chaos gar nicht aufgefallen. Doch jetzt wurde mein Bewusstsein von Einzelheiten überschwemmt, und die flirrenden Schatten kristallisierten sich zu einem präzisen, konkreten Gedanken und verdichteten sich zur Gewissheit: Es gab keine Mimi. Es hatte nie eine Mimi gegeben, außer in Barry Longs fiebrigen Gedanken. Mimi war ein Symptom. Natürlich war sie das, natürlich. Wie blind ich gewesen war! MIMI . WAR . EIN SYMPTOM !
    Plötzlich wurde ich wegen Mimi und ihres grausamen Schicksals von surrealer Trauer ergriffen. Ich trauerte um sie, weil sie nie eine Chance gehabt hatte, Gestalt anzunehmen. Zu der Trauer gesellte sich Zorn. Ich verfluchte den in seinen Bart hineinmurmelnden Schizophrenen, in dessen Netz aus Täuschungen ich mich verfangen hatte. Ich war im gleichen Atemzug wütend und schalt mich wegen meiner Blindheit, meiner Schwäche und meiner beschissenen Vorgehensweise. Denn es hätte mir längst auffallen müssen; ich hätte die einzelnen Teile zu einem Bild zusammensetzen müssen. Ich hätte ihn gehen lassen sollen. Ich hätte ihn energischer festhalten sollen.
    Ich wütete gegen Barry Long. Ich wütete aus vielen Gründen gegen ihn, doch in diesem Moment, aufgrund eines absurden Tricks meines Bewusstseins, wütete ich hauptsächlich Mimis wegen. Ich forderte die Reue, die er ihr schuldete. Ich beschimpfte ihn im Namen seiner eigenen Halluzination. Doch da war niemand mehr, den man hätte beschimpfen können.

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    M orgen habe ich ein bisschen Zeit « , sagte Sam am Telefon. » Ich muss dich sehen. «
    » Natürlich « , sagte ich, und mir wurde warm ums Herz. » Mittagessen bei Ake? «
    » Nein, nein. Zu Hause. « Ihre Stimme klang anders als sonst. Ich hatte mich an den ungeduldigen, gereizten Unterton gewöhnt, der häufig darin mitschwang, doch heute hörte ich Trauer und Furcht heraus, ein Timbre, das ich sehr gut kannte.
    » Alles in Ordnung? « , fragte ich.
    » Ja. Nein. Es gibt da etwas, aber nicht am Telefon. Und jetzt muss ich los. «
    Als sie am nächsten Tag kam, gingen wir in die Küche. Sie setzte sich an den Küchentisch, und ich kochte Pasta, während sie auf ihrem Mobiltelefon herumtippte.
    » Was ist los, Sam? «
    Sie hob den Blick und sah mich an. » Ich brauche einen Rat, Dad « , sagte sie zögernd.
    » Ich höre « , erwiderte ich einigermaßen überrascht.
    » Das bleibt aber zwischen uns beiden « , sagte sie, und ich meinte zu hören, dass ihre Stimme ein wenig zitterte. » Ich möchte nicht, dass sich das herumspricht, ja? « Sie
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