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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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Die Maslow blieb einige Augenblicke unbeweglich sitzen, dann erhob sie sich, legte das Brot, das ihr noch geblieben, auf den Wandsims, nahm das Tuch ab, das ihre schwarzen Lockenhaare bedeckte, und ließ sich wieder auf das Bett zurückfallen.
    Die alte Bucklige, die mit dem kleinen Jungen am anderen Ende des Saales spielte, trat ebenfalls näher und sagte, mit kläglicher Miene den Kopf schüttelnd:
    »Mein Gott! mein Gott!«
    Der kleine Junge kam hinter ihr dreingelaufen. Mit offenem Munde und aufgerissenen Augen blieb er vor dem Brote stehen, das die Maslow mitgebracht hatte.
    Als diese alle diese besorgten Gesichter sah, wandelte sie gleich die Lust an, zu weinen. Trotzdem hatte sie sich bis zu dem Augenblick bezwungen, da die Alte und der kleine Junge zu ihr getreten waren. Als sie aber den verzweifelten Schrei der Alten vernahm, vor allem aber, als ihre Blicke denen des Kindes begegneten, dessen Augen sich ernsthaft auf die ihrigen richteten, da konnte sie nicht länger an sich halten. Alle ihre Züge zitterten, und sie brach in Thränen aus.
    »Ich hatte es dir immer gesagt, wähle dir einen geschickten Verteidiger!« fuhr die Korablewa fort.
    »Na, was hast du denn gekriegt? Sibirien?« fügte sie hinzu.
    Die Maslow wollte antworten, doch ihre Thränen ließen es nicht zu. Sie holte unter ihrem Hemde ein kleines Päckchen Zigaretten hervor, auf dessen Deckel eine rosige Dame mit hohem Chignon und entblößten Brüsten abgebildet war, und hielt es der Korablewa hin. Diese betrachtete das Bild und schüttelte mißbilligend den Kopf, als wolle sie der Maslow Vorwürfe machen, ihr Geld in so dummer Weise ausgegeben zu haben; dann nahm sie eine Zigarette aus dem Päckchen, zündete sie an der Kerze des Heiligenbildes an, that einen Zug daraus und gab sie der Maslow zurück, die, ohne im Weinen aufzuhören, gierig zu rauchen begann.
    »Zwangsarbeit!« sagte sie endlich schluchzend.
    »Sie fürchten also nicht mehr Gott, diese verdammten Henkersknechte!« rief die Korablewa. »Sie hatte doch nichts verbrochen! Warum verurteilt man sie denn?«
    In demselben Augenblick brachen die vier Weiber, die am Fenster standen, in lautes Lachen aus. Auch das kleine Mädchen lachte; man hörte ihr leises, frisches Lachen, das sich in die schrillen Töne ihrer Gefährtinnen mischte. Jedenfalls hatte einer der Gefangenen eben eine Bewegung gemacht, die diesen geräuschvollen Heiterkeitsausbruch hervorgerufen hatte.
    »Na! habt ihr den rasierten Hund gesehen? Habt ihr gesehen, was er gemacht hat?« sagte die Rothaarige, während ihr ganzer dicker, welker Körper zitterte.
    »Das hat ein hartes Fell! 's ist gerade Gelegenheit zum Lachen!« sagte die Korablewa und deutete auf die Rothaarige, dann wandte sie sich wieder zur Maslow:
    »Und auf wie lange?«
    »Auf vier Jahre,« versetzte die Maslow mit so heftigem Thränenerguß, daß die Eisenbahnwärterin sich verpflichtet glaubte, sie zu trösten.
    »So wahr ich es euch sage, es sind Banditen! Und wir waren fest überzeugt, man würde sie freilassen! Tantchen sagte: Man wird sie freilassen! – Nein, Tantchen, sagte ich, glaube mir, sie werden sie fassen! Und ich hatte wirklich recht!« fuhr sie mit ihrer singenden Stimme fort, denn sie hörte sich gern reden.
    Während sie ihr Wehklagen fortsetzte, hatten die Gefangenen den Hof passiert. Sobald sie fort waren, traten die vier Frauen, die grobe Worte mit ihnen gewechselt hatten, vom Fenster zurück und näherten sich der Maslow ebenfalls.
    »Nun! sie haben dich also verurteilt?« fragte die Frau mit dem Kinde auf dem Arm.
    »Sie haben sie verurteilt, weil sie kein Geld hatte!« versetzte die Korablewa. »Hätte sie Geld gehabt, so hätte sie sich einen geschickten Verteidiger genommen, einen Pfiffikus, der sie freigekriegt hätte. Es ist da einer – ich weiß nicht mehr, wie er heißt –, ein Fuchs, der nicht seinesgleichen hat; der hätte dich, das ist so wahr, wie ich es sage – aus dem tiefsten Wasser gezogen, ohne dich naß zu machen! Den hättest du nehmen müssen!«
    »Das Schicksal hat es jedenfalls so gewollt,« sagte die gute Alte, die wegen Beihilfe zur Brandstiftung verurteilt worden war. »Glaubt ihr etwa, es sei nicht schrecklich, einen Greis von seiner Frau und seinem Sohne zu trennen und ihm niemand dazulassen, der ihn säubern kann; und mich hat man in meinen alten Tagen hier eingesperrt!«
    Zum hundertsten Male erzählte sie, was ihr passiert wäre, und erklärte kopfnickend:
    »Seinem Schicksal entgeht
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