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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman
Autoren: Noam Shpancer
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herauszufinden, was ihre Wege und ihre Logik waren. Sie war davon nicht überzeugt. Schließlich schickte ich sie auf John Savoias Rat hin zu ihrem kirchlichen Berater, der sie, wie ich hoffte, wenn vielleicht auch nur dank der Lage seiner Praxis, einer Antwort näherbringen konnte.
    Ich war deshalb nicht überrascht, als Barry Long das Thema Sex unerwähnt ließ. Ich war selbst durchaus bereit, darüber hinwegzugehen. Doch dann stellten sich nagende Zweifel ein. Mir kam in den Sinn, dass mein bereitwilliges Darüberhinweggehen einen arroganten Beigeschmack hatte und vielleicht etwas mit meinem instinktiven Zurückweichen vor seiner Person und mit dem Wissen, dass seine Freundin behindert war, zu tun hatte. Aus diesem Grund entschied ich mich, ihn danach zu fragen. Vielleicht entschied ich mich auch deshalb dafür, weil es ein Thema war, das mich selbst beschäftigte, denn Sex mit Alex war versickert wie Wasser in einem Bach im Hochsommer. Sie hatte schon vor langer Zeit aufgehört, mich zu bitten, auf ihr liegen zu bleiben, hatte aufgehört, über Dinge zu reden, die wir noch nicht ganz ausgeschöpft hatten. Auch ich hatte aufgehört, ihren Körper von Kopf bis Fuß zu beschnuppern und die subtile Melodie ihres Stöhnens zu enträtseln. Inzwischen lagen wir Rücken an Rücken da. Ich griff hinter mich und strich mit der Hand über ihre geschwungene Hüfte und die glatte Wölbung ihres Oberschenkels, dann seufzte sie und wir schliefen ein, gaben uns jeder seiner eigenen Müdigkeit hin.
    Als ich nachfragte, gab Barry Long zu, dass es um seine Libido nicht mehr so bestellt war wie früher. Weiteres Nachfassen ergab, dass seine Beziehung mit Mimi eigentlich eher einer geschwisterlichen Beziehung glich. Als ich ihn fragte, ob ihm das etwas ausmache, sagte er nein. Und als ich ihn fragte, ob es Mimi etwas ausmache, sagte er wieder nein. Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her und begann, sich heftig am Ellbogen zu kratzen. Ich entschied, es für den Moment dabei zu belassen, denn mir war aufgefallen, dass Barry Long sich in sich selbst zurückzog, wenn er sich angegriffen fühlte, was eigentlich ständig der Fall war.
    » Wie kann ich Ihnen helfen? « , fragte ich Barry Long gegen Ende unserer ersten Sitzung.
    Er sah mich einen Moment lang mit müden Augen an, als wisse er keine Antwort und glaube auch nicht, dass es eine gab. Lange Zeit saß er schweigend da.
    » Ich möchte mich gut fühlen « , sagte er schließlich. » Ich möchte mich lebendig fühlen. «
    » Ja « , nickte ich. » Ja. « (Ein Mann mit großem Ehrgeiz , dachte ich.)
    Wir saßen beide da, ohne etwas zu sagen.
    » Jetzt möchte ich, dass Sie den Vertrag unterzeichnen « , sagte ich schließlich.
    » Welchen Vertrag? « Er wich ein wenig zurück.
    » Einen Kein-Selbstmord-Vertrag « , sagte ich. » Ich bitte Sie, sich in der Zeit unserer Zusammenarbeit nichts anzutun. Sie müssen einwilligen, dass Sie mich sofort anrufen, falls Sie Selbstmordgedanken hegen oder das Gefühl haben, dass Sie sich selbst Schaden zufügen werden. «
    » Ich unterschreibe, was Sie sagen « , sagte er nach einer Pause mit ausdrucksloser Stimme.
    In Wahrheit halte ich diesen Vertrag für ein ziemlich überflüssiges Ritual. Doch John Savoia besteht darauf, dass Klienten mit hohem Risiko in seinem Therapiezentrum einen Kein-Selbstmord-Vertrag unterzeichnen. Er zitiert irgendwelche Forschungsergebnisse, die besagen, dass solche Verträge die Zahl der tatsächlichen Selbstmorde verringern, auch wenn er nicht genau begründen kann, weshalb. » Vielleicht verknüpfen die Menschen den Akt des Niederschreibens gedanklich mit einer gewissen Verpflichtung « , sinnierte er einmal. » Schwarz auf weiß nimmt ein Wort eine ganz konkrete, materielle Realität an; ein gesprochenes Wort löst sich als Abstraktum in Luft auf. Deshalb wird dieser Vertrag ernst genommen, auch wenn er keinerlei rechtliche Gültigkeit hat, er ist nichts als Tinte auf Papier, eine Geste, ein Ritual. «
    Barry Long nickte also und beugte sich vor, nahm mir behutsam den Stift aus der Hand und unterzeichnete den Vertrag mit einem schwächlichen Haken.

4
    A lex, meine Frau, war jahrelang beruflich unzufrieden; sie machte nichts aus ihrer Ausbildung und schöpfte die Möglichkeiten ihres Masterabschlusses als Sozialarbeiterin nicht aus, da sie Sam zu Hause betreuen wollte. Als Sam erwachsen wurde und aufs College ging, fiel es Alex schwer, wieder ins Arbeitsleben zurückzukehren; zum einen aufgrund der
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