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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman
Autoren: Noam Shpancer
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besonders problematischen Klienten, zu den längst vergangenen Tagen mit Alex, meiner Frau, bevor wir Sam bekamen und uns noch mit Spekulationen trösten konnten, wie unser Leben wohl einmal aussehen würde.
    » Körperliche Anwesenheit allein genügt nicht « , sagte Alex, nachdem sie mich einige Male mit scharfem Blick bei meiner Geistesabwesenheit ertappt hatte. » Du musst emotional anwesend sein. Kinder kann man nicht täuschen. Sie spüren es, wenn du nicht da bist « , warnte sie mich. » Eines Tages wird es dir leidtun. «
    Einmal gingen Sam und ich im örtlichen Einkaufszentrum in ein Modegeschäft. Wir schlenderten zwischen den Kleidern umher, die an kreisförmigen Gestellen hingen. Ich ließ Sams Hand einen Augenblick los, um nach dem Preisschild einer Lederjacke zu suchen, die mir ins Auge gefallen war, weil sie mich an meine Jugend erinnerte. Als ich wieder aufblickte, um nach ihr zu sehen, war sie verschwunden. Für den Bruchteil einer Sekunde verdunkelte sich meine Welt, und meine Knie gaben nach. Eine Sekunde später tauchte sie wieder auf und spähte neckisch zwischen ein paar Kleidern hervor, die in der Nähe an einem Gestell hingen. Ihr spitzbübisches Grinsen verwandelte sich rasch in einen Ausdruck des Entsetzens. Ich wusste, dass sie die Angst widerspiegelte, die sie in meinem Gesicht gelesen hatte, und das prägte sich mir ein. Doch ich änderte mein Verhalten nicht. In unserem tiefsten Inneren mögen wir keine Veränderungen und widersetzen uns ihnen oft mit aller Macht. Ein einzelnes Ereignis, selbst ein traumatisches, verändert nicht unsere grundsätzlichen Neigungen, auch dann nicht, wenn wir Psychologen sind. Die Regeln gelten selbst für die, die sie durchschauen. Wir erholen uns und fallen in unsere alten Gewohnheiten zurück, nur das Wissen um die unmittelbare Nähe des Schreckens ist dazugekommen. Dieses Wissen lauert weiterhin in unserer Nachbarschaft, fauchend und unerwünscht wie eine streunende Katze.

2
    A lex und ich hatten uns an der Universität kennengelernt. Ich war zu einem Gastvortrag über ein Forschungsprojekt eingeladen, an dem ich gerade arbeitete. Sie saß in der letzten Reihe und sah mich mit einem ungewöhnlich strahlenden, dunklen und dennoch blendenden Blick an. Nach der Vorlesung blieb sie noch und stellte ein paar Fragen, und ich lud sie zu einem romantischen Spaziergang zum Parkplatz ein. Als wir so nebeneinanderher gingen, empfand ich zum ersten Mal dieses entspannende und gleichzeitig stimulierende Gefühl, das einen in Gegenwart eines Menschen befällt, der bereit ist, sich völlig zu öffnen. Als wir bei meinem Auto ankamen und uns zum Abschied einander zuwandten, war uns beiden klar, dass wir ein Paar sein würden. In zehn Minuten von völliger Fremdheit zu großer Nähe, und seit damals über zwanzig Jahre des Zusammenlebens, die diese Nähe sowohl gefestigt als auch verschlissen haben.
    Bereits vor meinem Examen zogen wir zusammen in eine kleine Wohnung in der Montrose Street. Damals gab es um die Ecke einen winzigen Nachtclub. Freitagabends gingen wir aus, um Milt Hopkins zu sehen, einen sehr alten einheimischen Blueshelden, der zur Gitarre sein Standardrepertoire sang. Ich trank gerne, und Alex tanzte gerne. Nach ein paar Bier nahm sie mich bei der Hand und führte mich auf die winzige Tanzfläche, zu Füßen des über uns aufragenden Bluessängers, nahm mich fest in die Arme und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Dann drehten wir uns auf engstem Raum zu der Melodie von » Love me with a feeling, or don’t love me at all « . Sie gab ihre beiden Siamkatzen auf, weil sich herausstellte, dass ich eine Katzenallergie hatte. Ich gab meine nächtliche Gewohnheit auf, bis in die frühen Morgenstunden vor dem Fernseher auszuharren. Von Anfang an stritten wir uns selten. Wenn es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung kam, wurde ich in mich gekehrt, deprimiert und passiv, und sie überdachte die Sache und schritt zur Tat. Dann kam sie wieder auf mich zu, umarmte mich und sagte: » Und jetzt gib zu, dass du unrecht hattest. «
    Auch beim Sex fanden wir schnell unseren Weg. Sie lag unter mir, hielt mich fest umschlungen, und ich war über ihr und stützte mich auf die Ellbogen. Ihre Augen waren geöffnet, meine geschlossen. Sie stöhnte laut, und ich blieb still. Nachdem ich gekommen war, flüsterte sie: » Bleib da, leg dich auf mich; geh nicht weg; es ist gut so, du bist nicht schwer. « Und dann sagte sie: » Jetzt bin ich dran « , und lenkte meinen Kopf
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