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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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schließlich nicht mehr beherrschen konnte, das Gesicht ins Kissen vergrub und dumpf hineinschluchzte.
    Â»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll … Ich weiß es ganz einfach nicht, vor allem nachts, wenn ich überlege …«
    Ich stand mit der Seife und der Zahnpasta in der Hand und starrte sie an. Ja, sie war schon lange sehr bedrückt gewesen, noch bevor ich wegfuhr, wieso merkte ich es erst jetzt? Ich hatte immer nur ihre gleichbleibend wohlüberlegten und präzisen Bewegungen gesehen, ich hatte nur gesehen, dass sie als Erste aufstand wie immer und sich dann auf dem Bett ausstreckte, um zu lesen, wobei sie bei dem Lärm ärgerlich das Gesicht verzog, aber nie etwas sagte, dass Silviu sie genauso oft aufsuchte wie bisher, sie aber nicht mehr weggingen, sondern in einem fort miteinander redeten, während sie in den Alleen um das Wohnheim auf und ab liefen.
    So lange waren wir nun schon befreundet, und ich hatte noch nicht einmal etwas von ihrem Kummer bemerkt. Sah ich denn gar nichts um mich herum, weil ich nur an mich dachte, wie Marilena mir vorgeworfen hatte, bevor ich wegfuhr? So hatte ich auch an der Seite von Onkel Ion gelebt, ohne ihn zu sehen, ohne ihn zu beachten, viel zu spät hatte ich versucht, ihn zu verstehen, und eigentlich nichts verstanden. Das Leben der anderen glitt an mir vorüber, ohne dass ich es wahrnahm, wie lange wollte ich denn noch so sein, fragte ich mich und ging zu ihr, Zahnpasta und Seife in der Hand. Ich war einfach nur verärgert und ein bisschen beschämt.
    Ich setzte mich aufs Bett und streckte die Hand aus, um sie zu streicheln, ließ sie aber sofort wieder auf die kratzende Überdecke sinken. Ich wusste, dass es nicht das war, was ich jetzt tun sollte, aber was dann? Wieder zwang sie sich zu einem Lächeln.
    Â»Du musst dir keine Sorgen machen«, sagte ich und spürte den schalen Geschmack meiner stumpfsinnigen Worte im Mund. »Er hat dich ja gern, ihr könntet heiraten, und wenn seine Eltern nicht einverstanden sind, wird er schon merken, was die für Egoisten sind, und wird auch nicht mehr auf sie hören …«
    Â»Nein«, entgegnete sie sanft und schüttelte den Kopf, worauf ich sie irritiert ansah. Ich verstand sie nicht, sie ging mir ganz einfach auf die Nerven …
    Â»Nein, die sind ganz nett und freundlich, und irgendwie haben sie ja auch recht. Silviu ist zu jung, und zum Heiraten ist es noch zu früh, dazu ein Kind, schon im zweiten Studienjahr … Wenn wir den Abschluss schaffen, dann sind sie vielleicht einverstanden, wenn ich es jetzt irgendwie hinkriege.«
    War ihr Ziel so unbestimmt wie meines? Gab es vielleicht auch für sie eine Welt, in die sie geduldig Einlass suchte, wobei sie ihren Willen mit sanfter Unterwürfigkeit kaschierte?, fragte ich mich, während ich sie ansah. Sie hockte da, die Knie bis zum Kinn herangezogen, die Haare auf Lockenwicklern wie immer, mit tränenüberströmt funkelndem Gesicht, so sah sie mich eine Weile an, dann stand sie auf und begann sich anzuziehen.
    Â»Ich muss runter, bald kommt Silviu«, sagte sie und fuhr sich erbittert mit dem Kamm durch die allzu krausen Locken.
    *
    Ich zog den Schlafanzug über, schlüpfte unter die Decke und drückte die Augen fest zu. Wie gern wäre ich eingeschlafen, bevor die Mädels ins Zimmer kamen. Selbst wenn ich dann noch wach sein sollte, würde ich die Augen geschlossen halten, bis sie leise zu tuscheln begannen. »Ssss …«, und dann werden sie auf Zehenspitzen gehen und sich stumme Zeichen machen und hin und wieder ein Lachen unterdrücken. Irgendwann werden sie sich beruhigen, dann wird es nur noch die immer seltener werdenden nächtlichen Geräusche auf dem Gang geben.
    Vom Bett aus werde ich in dem von Lichtern durchfurchten Dunkel plötzlich verwundert das Meeresrauschen der Stadt wahrnehmen. Jenseits der Mauern, jenseits meiner geschlossenen Lider werde ich verblüfft zum ersten Mal den verhaltenen Atem des Wassers im nächtlichen Rauschen der Straßen spüren. Als wäre ich dort geblieben, als wäre ich noch nicht zurückgekommen, so wird es mir scheinen, und ich werde horchen, wie es dumpf anbrandet, wie sein Schwellen im unmerklichen Fortgang der Stunden immer müder wird. Es wird die letzte Nacht sein, in der ich mit verstörten Augen darauf lauere, dass das dünne Grau des Morgens in die Fenster steigt. Ich werde mich in den
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