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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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doch sein kannst. Manchmal kann ich es gar nicht glauben, dass du bist, wie du bist. Ich frage mich, ob ich mir das einbilde …«
    Ich hatte mich entspannt und nahm dankend seine Hand, die mir über die Stirn strich.
    Â»Was weißt du schon, was los ist auf dieser Welt … Sieh zu, dass du deine Sachen geregelt kriegst, sei froh, dass der Artikel deines Onkels erschienen ist und noch weitere erscheinen, und warte ab, bis du älter wirst … Und worauf wartest du jetzt? Los, zieh dich an …«
    Ich streckte den Arm aus und zog langsam den Vorhang vors Fenster, wie im Theater. Er schloss sich und sperrte das regengraue Meer, das schamlos entblößte Viereck des Pools aus, während nebenan in einem aufgeklappten Dachfenster die weiß eingedeckten Tische des Restaurants auftauchten, die uns an diesem Abend erwarteten.
    *
    Â»Auch Fräulein LetiÅ£ia hat heute geschwänzt und wird in die Abwesenheitsliste eingetragen«, kicherte der Dunkelhaarige. Er saß jetzt vorn auf dem Beifahrersitz und versuchte den Nachrichtensprecher zu übertönen. »Im ganzen Land fanden in diesen Tagen Kundgebungen zu Ehren …« Phrasen, die ich gewöhnlich nicht hörte. Dennoch erwachte immer wieder der Reflex aus dem Zimmer, den Lautsprecher abzudrehen. Ich hatte meinen Kopf auf die Rückbank sinken lassen, er berührte Petrus starre Schulter. Die eintönige Fahrt durch die Nacht, in der immer wieder die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos aufblendeten, hatte mich betäubt, vielleicht war ich auch nur schläfrig. »LetiÅ£ia«, sagte er immer wieder, »LetiÅ£ia … Was haben die dir doch für einen braven Namen geben, so gar nicht sexy …«
    Â»Meine Großmutter hieß auch so«, antwortete ich. Ich bemühte mich immer weniger, die Ähnlichkeit mit ihr zu verbergen, in der Hoffnung, der verschämt schmerzliche Blick dort in dem Familienalbum mit dem harten Einband würde ausschließlich ihrer bleiben.
    Â»Ja, das geht ja noch«, kicherte er. »Schließlich kann sich keiner vorstellen, dass unsere Großmütter irgendwann sexy gewesen wären, unsere Mütter waren ja auch immer brav.«
    Diesmal lachte nur er, nachdem er eine Weile auf das Gelächter der anderen gewartet hatte. Dabei waren wohl alle nur bemüht, nicht einzuschlafen. Jetzt sah man die funkelnde Befeuerung des Flughafens, kleine rote Punkte, die irgendwo blinkten, das überwältigende Brausen der Flugzeuge drang herüber. Bald würden wir in den dichten Abendverkehr der Stadt mit seinem geregelten Gewimmel eintauchen. Wir würden die Stadt so wiederfinden, wie wir sie verlassen hatten, uns aber würde es einen Augenblick lang scheinen, als hätte nur unser Kommen sie aus dem Nichts erschaffen, aus der Stille der Abende am menschenleeren Strand, aus der dumpfen Meeresbrandung …
    Â»Ruf noch an«, raunte Petru und stellte meinen Koffer auf dem Gehsteig vor dem Heim ab.
    Er bückte sich, schlüpfte wieder hinein, zog die Tür zu und winkte mir noch einmal verhalten zu.
    Reglos und betäubt stand ich da, sah dem Auto nach, diesmal nicht, sagte ich mir, diesmal werde nicht ich es sein, die dich sucht.
    *
    Â»Lassen wir das«, sagte Nana und winkte ab. Sie reckte den hochroten Kopf mit verweinten Augen unter der Decke hervor, lächelte angestrengt und fragte: »Und wie war’s bei dir … Schön, oder?«
    Â»Es ging so, am Strand wehte jedenfalls ein fürchterlicher Wind, da konnte man nicht bleiben. Und dann immer in dem überdachten Pool baden … Immerhin …«, murmelte ich, wobei ich meine Sachen einzeln aus dem Koffer holte und sie in den Schrank zurücklegte. »Wieso bist du denn nicht essen gegangen, ist dir wirklich so schlecht?«
    Â»Essen kann ich nicht einmal mehr riechen, wenn ich da reingehe, steht es mir hier – nach all den Spritzen …«
    Sie streckte die Hand nach der aufgeschnittenen Zitrone auf dem Nachschränkchen aus und schlug ihre vorstehenden weißen Zähne hinein.
    Â»Was haben die mich gestern Abend gequält«, begann sie zu erzählen, wobei sie sich mit einem Ellbogen in den Kissen aufstützte. »Ich habe unter der heißen Dusche gestanden, bis ich glaubte, meine Haut ist verbrüht.«
    Sie lachte leise, während ihr Tränen in die Augen traten. Sie lachte immer so weiter, bis sie sich
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