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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes
Autoren: Lian Hearn
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Dienerin.
    »Ja, er heißt Jo-An. Ich lernte ihn in Yamagata kennen.« Ich zog mich aus, legte mein Nachtgewand an und setzte mich ihr gegenüber, Knie an Knie.
    Ihre Augen blickten mich forschend an. »Du wirkst erschöpft. Komm und leg dich hin.«
    »Ja. Wir müssen versuchen ein paar Stunden zu schlafen. Im Morgengrauen marschieren wir los. Die Otori haben den Tempel umzingelt. Wir müssen über den Pass.«
    »Hat der Ausgestoßene dir diese Nachricht überbracht?«
    »Er hat sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt.«
    »Weshalb? Woher kennst du ihn?«
    »Erinnerst du dich an den Tag, als wir mit Lord Shigeru hierher ritten?«, sagte ich.
    Kaede lächelte. »Das werde ich nie vergessen.«
    »In der Nacht zuvor war ich ins Schloss geklettert und hatte dem Leiden der Gefangenen, die an den Mauern hingen, ein Ende gemacht. Sie waren Verborgene. Hast du jemals etwas über sie gehört?«
    Kaede nickte. »Shizuka hat mir ein wenig über sie berichtet. Sie wurden von den Noguchi auf dieselbe Weise gequält.«
    »Einer der Männer, die ich tötete, war Jo-Ans Bruder. Jo-An sah mich, als ich aus dem Wassergraben stieg, und hielt mich für einen Engel.«
    »Für den Engel von Yamagata«, sagte Kaede langsam. »Als wir in jener Nacht zurückkehrten, redete die ganze Stadt davon.«
    »Danach sind wir uns wiederbegegnet, unsere Schicksale scheinen miteinander verflochten zu sein. Letztes Jahr half er mir hierher zu kommen. Ich wäre im Schnee erfroren ohne ihn. Unterwegs brachte er mich zu einer heiligen Frau und sie sagte gewisse Dinge über mein Leben.«
    Ich hatte niemandem, nicht einmal Makoto oder Matsuda, von den Worten der Prophetin erzählt, nun aber wollte ich sie mit Kaede teilen. Ich flüsterte ihr einiges davon ins Ohr: dass sich in mir dreierlei Blut vereinte, dass ich bei den Verborgenen geboren wurde, mein Leben aber nicht mehr in meiner Hand lag, dass es meine Bestimmung war, in Frieden von Meer zu Meer zu herrschen, wenn die Erde vollbrachte, was der Himmel begehrte. Ich hatte diese Worte immer und immer wieder im Stillen wiederholt und glaubte zuweilen daran, zuweilen auch nicht. Ich erzählte ihr, dass fünf Schlachten uns den Frieden bringen würden, vier als Sieger, eine als Besiegte, aber ich verschonte sie mit dem, was die Prophetin mir über meinen eigenen Sohn geweissagt hatte: dass ich dereinst von seiner Hand sterben würde. Ich redete mir ein, ihr diese entsetzliche Bürde nicht zumuten zu können, doch in Wahrheit wollte ich ein weiteres Geheimnis für mich behalten, in welches ich sie nicht eingeweiht hatte: dass ein Mädchen vom Stamm namens Yuki, Muto Kenjis Tochter, ein Kind von mir erwartete.
    »Du wurdest bei den Verborgenen geboren?«, fragte sie vorsichtig. »Aber der Stamm erhob wegen deines Vaters Herkunft Anspruch auf dich. Shizuka versuchte es mir zu erklären.«
    »Als er zum ersten Mal zu Shigeru kam, eröffnete mir Muto Kenji, mein Vater sei ein Kikuta gewesen und hätte dem Stamm angehört. Allerdings wusste Kenji, im Unterschied zu Shigeru, nichts davon, dass mein Vater zur Hälfte auch ein Otori war.« Ich hatte Kaede bereits die Schriften gezeigt, die dies belegten. Shigerus Vater, Otori Shigemori, war mein Großvater gewesen.
    »Und deine Mutter?«, fragte sie leise. »Wenn du es mir sagen möchtest…«
    »Meine Mutter war eine Verborgene. Bei ihnen bin ich aufgewachsen. Meine Familie kam bei einem Massaker in unserem Dorf Mino ums Leben, durch Iidas Männer. Und mich hätten sie auch getötet, wenn Shigeru mich nicht gerettet hätte.« Ich hielt inne und sprach dann aus, woran ich mir sonst kaum einen Gedanken gestattete: »Ich hatte zwei kleine Schwestern. Wahrscheinlich wurden sie ebenfalls ermordet. Die eine war neun, die andere sieben.«
    »Wie furchtbar«, sagte Kaede. »Ich habe immerzu Angst um meine Schwestern. Hoffentlich können wir nach ihnen schicken lassen, wenn wir in Maruyama sind. Ich kann nur hoffen, dass sie gerade in Sicherheit sind.«
    Ich schwieg und musste an Mino denken, wo wir uns alle so sicher gefühlt hatten.
    »Wie seltsam dein Leben bisher verlief«, fuhr Kaede fort. »Als ich dir zum ersten Mal begegnete, spürte ich, dass du all dies verbirgst. Ich sah dich fortgehen, wie an einen dunklen und geheimen Ort. Ich wollte dir dorthin folgen. Ich wollte alles über dich wissen.«
    »Ich werde dir alles erzählen. Aber lass uns zu Bett gehen und ausruhen.«
    Kaede schlug die Decke zurück und wir legten uns hin. Ich schloss sie in meine Arme und öffnete
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