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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes
Autoren: Lian Hearn
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begegnet, als ich seinem Bruder und einigen anderen Verborgenen zu einem raschen Tod verhalf. Jo-An war es auch gewesen, der mir den Namen »Engel von Yamagata« gab. Im vergangenen Winter, auf meiner Flucht nach Terayama, hatte er mir dann das Leben gerettet. Ich hatte ihm gesagt, dass ich im Frühjahr nach ihm schicken lassen würde, er sollte abwarten, bis er von mir hören würde, doch sein Verhalten war unberechenbar, für gewöhnlich geleitet von der Stimme des Geheimen Gottes, wie er behauptete.
    Es war eine laue, warme Nacht. Die Schwüle des Sommers lag bereits in der Luft. In den Zedern schrie eine Eule. Jo-An lag auf der Innenseite des Torhauses am Boden. Man hatte ihn unsanft gefesselt, seine Knie waren angezogen und die Hände auf dem Rücken festgebunden. Das Gesicht war mit Dreck und Blut verschmiert, sein Haar verfilzt. Er bewegte die Lippen leicht, ein stummes Gebet. Zwei Mönche beobachteten ihn aus sicherer Entfernung und mit missbilligender Miene.
    Ich rief ihn beim Namen und seine Augen öffneten sich. Erleichterung leuchtete in ihnen auf. Er versuchte sich in eine kniende Position zu bringen und kippte, unfähig, sich mit den Händen abzustützen, nach vorn. Sein Gesicht landete im Dreck.
    »Bindet ihn los«, sagte ich.
    Einer der Mönche protestierte: »Er ist ein Ausgestoßener. Wir sollten ihn nicht berühren.«
    »Wer hat ihn gefesselt?«
    »Wir haben es nicht gleich gemerkt«, erklärte der andere.
    »Ihr könnt euch später säubern. Dieser Mann hat mir das Leben gerettet. Bindet ihn los.«
    Widerwillig gingen sie zu Jo-An hinüber, hoben ihn hoch und lösten seine Fesseln. Er kroch vorwärts und warf sich mir zu Füßen.
    »Setz dich auf, Jo-An«, sagte ich. »Warum bist du hier? Ich sagte doch, ich würde nach dir schicken. Du kannst von Glück sagen, dass man dich nicht getötet hat, wenn du hier ohne Ankündigung oder Erlaubnis einfach so auftauchst.«
    Bei unserer letzten Begegnung war ich fast ebenso ärmlich gekleidet gewesen wie er, auf der Flucht, erschöpft und ausgehungert. Nun wurde mir bewusst, was für ein Gewand ich trug; mein Haar war nach Art der Krieger frisiert, im Gürtel steckte das Schwert. Ich wusste, dass es die Mönche tief erschüttern musste mitanzusehen, wie ich mit dem Ausgestoßenen sprach. Ein Teil von mir war versucht ihn hinauswerfen zu lassen, jegliche Verbindung zwischen uns zu leugnen und ihn auf diese Weise ganz aus meinem Leben zu streichen. Ein entsprechender Befehl von mir und die Wachtposten hätten ihn, ohne auch nur einen Gedanken zu verschwenden, auf der Stelle getötet. Doch ich brachte es nicht über mich. Er hatte mir das Leben gerettet und schon allein die Verbindung zwischen uns beiden als geborene Verborgene zwang mich, ihn nicht als Ausgestoßenen, sondern wie einen Menschen zu behandeln.
    »Niemand wird mich töten, ehe der Geheime Gott mich zu sich ruft«, murmelte er und blickte zu mir auf. »Bis dahin gehört mein Leben Ihnen.« Es war wenig Licht dort, wo wir standen, nur die Lampe, die der Mönch vom Torhaus gebracht und neben uns abgestellt hatte, doch ich sah Jo-Ans flammende Augen. Wie schon so oft fragte ich mich, ob er vielleicht gar kein menschliches Wesen, sondern ein Besucher aus einer anderen Welt war.
    »Was möchtest du?«
    »Ich habe Ihnen etwas zu sagen. Sehr wichtig. Sie werden froh sein, dass ich hergekommen bin.«
    Die Mönche waren vor dem Unreinen zurückgewichen, aber noch nah genug, um alles mitanzuhören.
    »Ich muss mit diesem Mann reden«, sagte ich. »Wohin können wir gehen?«
    Sie tauschten einen ängstlichen Blick. »Vielleicht der Pavillon im Garten?«, schlug der ältere der Männer vor.
    »Ihr braucht nicht mitzukommen.«
    »Wir sollten Lord Otori beschützen«, meinte der Jüngere.
    »Mir droht keinerlei Gefahr von diesem Mann. Lasst uns allein. Aber sagt Manami Bescheid, sie soll Wasser bringen, Tee und etwas zu essen.«
    Sie verneigten sich und gingen. Auf dem Weg über den Hof begannen sie zu tuscheln. Ich seufzte, denn ich verstand jedes Wort.
    »Komm mit«, sagte ich zu Jo-An. Er hinkte hinter mir her Richtung Pavillon, der im Garten unweit von dem großen Teich stand. Das Wasser schimmerte im Sternenlicht und ab und zu durchbrach ein springender Fisch die Oberfläche und fiel mit lautem Platschen wieder zurück. Hinter dem Teich stachen die grauweißen Grabsteine aus der Dunkelheit hervor. Wieder schrie die Eule, diesmal näher.
    »Gott trug mir auf, Sie aufzusuchen«, sagte er, als wir auf dem
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