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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes
Autoren: Lian Hearn
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umstehenden Männer zu. Wahrscheinlich hatten sie geglaubt, dass die Bauern es nicht wagen würden anzugreifen. Selbst mich überraschte, was als Nächstes geschah. Statt Platz zu machen, um die Reiter durchzulassen, gingen die Männer auf die Pferde los. Zwei der Bauern starben auf der Stelle, von Schwerthieben gespalten, dann aber stürzte das erste Pferd zu Boden und der Reiter landete in der Meute, die ihn umzingelte. Die anderen ereilte dasselbe Schicksal. Sie hatten gar keine Gelegenheit, ihre Fechtkunst einzusetzen: Die Männer zogen sie von ihren Pferden und schlugen sie tot wie räudige Hunde.
    Makoto und ich versuchten die Bauern zu beruhigen und schafften es schließlich, sie von den leblosen Körpern zurückzudrängen. Erst als wir den Kriegern die Köpfe abtrennten und sie am Torhaus zur Schau stellten, kehrte wieder Ruhe ein. Eine Zeit lang beschimpfte die wilde Schar sie noch, dann trollten die Männer sich den Hang hinunter, mit lautstarken Beteuerungen, dass es jedem Fremden ebenso ergehen würde, falls er es wagen sollte, sich dem Tempel zu nähern und Lord Otori Takeo, den Engel von Yamagata, zu beleidigen.
    Makoto bebte vor Wut - auch auf Grund von anderen Gefühlen, über die er mit mir sprechen wollte, doch dafür hatte ich keine Zeit. Ich kehrte in den Schutz der Ringmauer zurück. Kaede hatte weiße Tücher und eine Holzschale voll Wasser geholt. Sie kniete unter den Kirschbäumen am Boden und säuberte in aller Ruhe den Kopf. Seine Haut war bläulich grau, die Augen halb geschlossen, der Hals nicht sauber durchtrennt, sondern durch mehrfache Hiebe zerhackt. Dennoch ging sie sorgsam mit ihm um, mit liebevoller Hingabe, als handelte es sich um einen kostbaren, schönen Gegenstand.
    Ich kniete mich neben sie, streckte meine Hand aus und berührte Ichiros Haar. Es war von grauen Strähnen durchzogen, aber im Tod wirkte sein Gesicht jünger, als ich es von unserem letzten Zusammentreffen in Erinnerung hatte. Damals, in Hagi, hatte er noch gelebt, gramerfüllt und von Geistern verfolgt, und dennoch bemüht, mir seine Zuneigung zu zeigen und mich zu leiten.
    »Wer ist das?«, fragte Kaede leise.
    »Ichiro. In Hagi war er mein Lehrer. Und auch der Shigerus.«
    Mehr brachte ich nicht heraus, denn das Herz lief mir über. Ich blinzelte die Tränen weg. Die Erinnerung an unsere letzte Begegnung erschien vor meinem geistigen Auge. Ich bereute, nicht mehr mit ihm gesprochen zu haben, wünschte, ich hätte ihm meine Dankbarkeit und meinen Respekt bezeugt. Wie er wohl gestorben war? Und hatte er einen demütigenden und qualvollen Tod erlitten? Ich wünschte mir so sehr, dass seine toten Augen sich geöffnet, seine blutleeren Lippen gesprochen hätten. Wie unwiederbringlich die Toten doch sind, wie unwiderruflich sie von uns gehen. Selbst wenn ihre Geister zurückkehren, sprechen sie nie über die Umstände des eigenen Todes.
    Geboren und aufgezogen wurde ich bei den Verborgenen, die daran glauben, dass nur diejenigen, die den Geboten des Geheimen Gottes folgen, sich im Jenseits wiederbegegnen werden. Alle anderen müssen in den Flammen der Hölle vergehen. Ich wusste nichts darüber, ob mein Adoptivvater Shigeru ein gläubiger Mensch gewesen war, aber sämtliche Lehren der Verborgenen waren ihm vertraut und im Moment seines Todes hatte er ihre Gebete gesprochen und dabei auch den Namen des Erleuchteten genannt. Ichiro, sein Ratgeber und Hausvorstand, hatte derlei Anzeichen nie gezeigt - sogar eher im Gegenteil: Sein Verdacht war von Anfang an gewesen, dass Shigeru mich vor dem Kriegsherrn Iida Sadamu und seiner Massenverfolgung der Verborgenen gerettet hatte; wie ein Kormoran hatte Ichiro mich stets belauert und nach Anhaltspunkten gesucht, die mich hätten verraten können.
    Inzwischen aber folgte ich den Lehren meiner Kindheit nicht mehr und konnte nicht glauben, dass ein Mensch von Ichiros Anstand und Loyalität in die Hölle kommen sollte. Weitaus stärker waren meine Wut über das Unrecht dieses Mordes und die Erkenntnis, dass ich nun noch einen weiteren Tod zu rächen hatte.
    »Sie haben ihre Tat mit dem Leben bezahlt«, sagte Kaede. »Wozu bringt man einen alten Mann um und nimmt all diese Gefahren auf sich, um dir seinen Kopf zu bringen?« Sie wischte die letzten Blutspuren fort und wickelte den Kopf in ein sauberes weißes Tuch.
    »Wahrscheinlich wollen die Otorilords mich provozieren«, erwiderte ich. »Sie würden es vorziehen, Terayama nicht anzugreifen, weil sie dann Arais Soldaten in die Arme
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